LA FANCIULLA DEL WEST – DAS MÄDCHEN AUS DEM WESTEN – Paris, Opéra Bastille

von Giacomo Puccini (1858-1924), Oper in drei Akten, Libretto: Guelfo Civinini und Carlo Zangarini nach David Belascos The girl of the golden West, U.A. 10. Dezember 1910 New York, Metropolitan Opera

Regie: Nikolaus Lehnhoff, Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer, Bühne: Raimund Bauer, Licht: Duane Schuler, Video: Jonas Gerberding, Choreographie: Denni Savers

Dirigent: Carlo Rizzi, Chor und Orchester der Opéra National, Licht: Duane Schuler, Choreinstudierung: Patrick Marie Aubert

Solisten: Nina Stemme (Minnie), Claudio Sgura (Jack Rance), Marco Berti (Dick Johnson/Ramerrez), Roman Sadnik (Nick), Andrea Mastroni (Ashby), u.a.

Besuchte Aufführung: 1. Februar 2014 (Premiere, Co-Produktion mit der Nederlandse Opera, Amsterdam)

Vorbemerkung

Selbst wenn es eine international bekannte amerikanische Oper eigentlich erst seit Gershwins Porgy and Bess (1935) und vor allem seit Bernsteins Westside Story (1957) gibt, hatte die Metropolitan Opera New York schon vor 1910 bei Puccini eine Oper mit einem Texbuch nach David Belascos The girl of the Golden West in Auftrag gegeben, um der Welt zu zeigen, daß New York nun gleichwertig mit den europäischen Großstädten als Musikzentrum existiert. Die Aufführung des Werkes, weitläufig publiziert, war ein Riesenerfolg. Und selbst, wenn man kritisierte: wohl sei das Thema amerikanisch, doch  Musik, Sprache und und weitgehend die Ausführenden (Arturo Toscanini, Enrico Caruso) noch  italienisch, hat dieses einmalige kulturelle Ereignisse seine Auswirkungen auf die Operngeschichte Amerkas sicherlich nicht verfehlt.

Auch auf Puccinis musikalische Sprache hat dies amerikanische Abenteuer seinen Einfluß gehabt. Es ist zweifellos Puccinis modernste Oper. Nach dem Japan der Butterfly ist es diesmal die amerikanische Exotik, die den Komponisten fasziniert. Obwohl Debussys Einfluß auch hier noch stark ist, klingt in der Fanciulla am Rande auch ragtime und andere nordamerikanische Volksmusik an.

Paris La Fanciulla031Kurzinhalt

In der Polka-Bar in Californien, warten die Goldsucher auf die Gefangennahme des Banditen Ramerrez, dessen Versteck bekannt wurde. In der Zwischenzeit, machen alle der schönen Bardame Minnie den Hof. Aber sie schlägt ihre Angebote in den Wind, auch den ernstgemeinten des Sheriffs Jack Rance. Sie hofft auf die große Liebe. Ein Dick Johnson erscheint, in Wirklichkeit Ramerrez verkleidet. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch Ramerrez wird entlarvt und in einem Schußwechsel verletzt. Er findet in Minnies Hütte Zuflucht, wird aber auch bis dorthin verfolgt. Minnie schlägt Jack Rance ein Pokerspiel um ihres Liebhabers Leben vor. Durch Falschspiel gewinnt sie die Partie und Ramerrez geht frei. Aber bald darauf wird er erneut gefunden, gefangen und soll nun hängen. Da erscheint Minnie bewaffnet und hoch zu Roß, und erinnert daran, für wieviel alle ihr dankbar sein müssen. Sie fordert sie auf, Ramerrez freizugeben. Die Goldgräber können ihr nicht wiederstehen, und so galoppiert sie mit ihrem Geliebten neuen Abenteuern entgegen.

Aufführung

Der erste Akt spielt in einer New Yorker Ganoven-Bar (nicht in einer Goldgräberstadt), alle Männer in schwarzer Lederkleidung mit Sonnenbrillen, Minnie in Straßenkleid mit Stöckelschuhen. Eine hervorragende Choreographie (vielleicht auf Westside Story hinweisend) und eine darauf abgestimmte Beleuchtung schafft bei Puccinis aufpeitschender Musik eine faszinierende Atmosphäre. Im zweiten Akt, mit seiner Liebesszene und dem Pokerspiel, geht der innen rosarot ausgeschlagene Wohnwagen Minnies mit den zwei Pappmaché-Rehen, deren Augen elektrisch aufleuchten, fast über das erträgliche Kitschniveau hinaus. Aber schon im dritten Akt befindet man sich auf einem Autofriedhof wieder in derselben Großstadtatmosphäre, mit derselben elektrisierenden Choreographie wie am Anfang. Die Final-Apotheose liegt ganz folgerichtig im Zeichen von American dream-Might and Glory-Hollywood (der Hollywood-Film Johnny Guitar von 1954 mit Joan Crawford behandelt dasselbe Thema): Zwischen den übereinander gehäuften Automobilen taucht plötzlich eine beleuchtete Glamourstiege auf, von der Minnie in rotem Glitzer-Abendkleid herabsteigt, gefolgt von ihrem Liebhaber im Smoking, nicht um einen Oscar zu empfangen, sondern das von ihr geforderte Pardon. Dahinter erscheint als riesiges Bühnenhintergrundvideo der Metro-Goldwyn-Mayer-Löwe, der aus dem Ars Gratia Artis-Spruchband stumm in die Gegend herausbrüllt.

Sänger und Orchester

Um die Rolle der Minnie zu meistern gehört nicht nur eine gewaltige Stimme, sondern auch ein enormes Durchhaltevermögen. So ist es nicht erstaunlich, daß man Nina Stemme, einer der bekanntesten Wagnersängerinnen, diese Rolle anvertraut hat. Ihr gewaltiges Vokalvolumen und ihre erstaunliche stimmlich und schauspielerische Intensität hält sie meisterhaft bis zum Ende dieser schwierigen Partie durch. Marco Berti ist kein Caruso, aber er hat eine klangvolle, vor allem in der Höhe metallisch wohltimbrierte Tenorstimme. Claudio Sguras Bariton ist voll und farbenreich, er spielt überzeugend den eifersüchtig-haßerfüllten Sheriff. Im übrigen ist La Fanciulla vor allem eine Ensemble-Oper in der die Nebenrollen und der hervorragend einstudierte Chor eine Hauptrolle spielen.

Carlo Rizzi dirigiert energisch die abwechslungsreiche Partitur, manchmal mit soviel Schwung, daß zwar das Orchester voll zur Geltung kommt, die Stimmen aber überdeckt werden.

Fazit

In dem Streit der Biographen Puccinis, ob das Libretto der Oper ernst zunehmen sei oder nicht, hat sich Nicolaus Lehnhoff und sein Team sichtlich auf die Seite der letzteren geschlagen. Von diesem Standpunkt aus hat er eine durchaus glaubwürdige, witzige und einfallsreiche Klamauk-Inszenierung auf die Beine gestellt.

Man muß der Direktion der Opea an der Bastille dankbar sein, dieses ungewöhnliche Werk endlich auch auf die Pariser Bühne gebracht haben. Die Aufführung wurde mit viel Applaus bedacht, wenn auch nicht alle Zuschauer mit der Inszenierung einverstanden waren.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Opéra national de Paris/Charles Duprat

Das Bild zeigt: Nina Stemme (Minnie) auf der Freitreppe, li. auf dem Autowrack: Marco Berti (Dick Johnson) Mitte: Claudio Sgura (Jack Rance)

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