Stockholm, Königliche Oper – SAMSON UND DALILA

von Camille Saint-Saëns (1835 – 1921), Oper in drei Akten, Libretto von Ferdinand Lemaire
Regie/Choreographie: Renaud Doucet, Bühnenbild/Kostüm: André Barbe, Licht: Guy Simard
Dirigent: Johannes Gustavsson, Königliche Hofkapelle, Chor der Königlichen Oper, Einstudierung: Folke Alin, Christina Hörnell
Solisten: Maria Streijffert (Dalila), Lars Cleveman (Samson), Johan Edholm (Oberpriester des Dagon), Sten Wahllund (Abimelek), Michael Schmidberger (ein alter Hebräer), Thomas Annmo (ein Bote), Olof Lilja (erster Philister), Ian Power (zweiter Philister)
Besuchte Aufführung: 17. Dezember 2008

Kurzinhalt
stockholm-samson-dalila.jpgDas von den Philistern unterdrückte Volk Israel revoltiert in Gaza unter der Führung Samsons. Als er den Satrapen Abimelek tötet, verflucht ihn der Oberpriester des Dagon. Indessen nähert sich die schöne Dalila dem triumphierenden Helden und überredet ihn, sie in ihrem Haus zu besuchen. Samson verfällt ihr, und als der Oberpriester Dalila Geld für den Verrat des Geheimnisses von Samsons Stärke bietet, offenbart sie ihr eigentliches Motiv: Rache für den Aufruhr. Nach mehreren erfolglosen Versuchen Dalilas gibt Samson schließlich preis, daß seine langen Haare ihm Macht verleihen. Sie läßt darauf Soldaten der Philister ein, die Samson überwältigen und ihn blenden. Bei einem Freudenfest wird der machtlose Blinde dem höhnischen Volk präsentiert. Dalila verspottet ihn und erklärt, sie habe ihn nie geliebt. Samson wendet sich in einem Gebet an Gott mit der Bitte, ihm seine alte Stärke wiederzugeben. Sie wird erhört, und Samson stößt die Säulen des Tempels um, der einstürzt und ihn und die Philister unter sich begräbt.
Aufführung
Das Regieteam hat den Schauplatz Gaza beibehalten, verlegt die Handlung allerdings in das 20. Jh., genauer: in die Zeit von der Staatsgründung Israels bis heute. Nur, wenn man bereit ist, die sich daraus ergebenden Umdeutungen des Librettos zu akzeptieren, wird man an dieser Produktion Gefallen finden. Die zahlreichen Anspielungen auf historische und aktuelle Ereignisse sind sehr deutlich, manchmal überdeutlich. Wenn beispielsweise die Alliierten des zweiten Weltkriegs durch Männer im Anzug, auf deren Rücken sich die jeweilige Flagge befindet, dargestellt werden, fühlt man sich doch arg an die Plattitüden mancher politischen Karikatur in den Tageszeitungen erinnert. Der erste Akt beginnt mit einer Darstellung des Exodus der 1940er Jahre, der Krieg gegen die Philister im ersten Akt wird mit dem arabisch-israelischen Krieg von 1948 gleichgesetzt, die Klage des blinden Samson am Beginn des dritten Akts mit den Geschehnissen seit der Wahl Ariel Scharons und das Freudenfest der Philister am Schluß der Oper mit einer Propagandaveranstaltung der palästinensischen Hamas. Kinder mit Maschinenpistolen und Kampfanzügen sowie Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürteln bevölkern hier die Szene. Das beherrschende Symbol des Bühnenbildes ist ein gewaltiger roter Faden, der in allen Akten zu sehen ist und der – was als Utopie oder als Apokalypse verstanden werden kann – am Ende von Samson zerrissen wird. Daß der rote Faden die Kontinuität der Gewalt im Nahen Osten symbolisieren soll, ist offensichtlich, und daß Samson das moderne Israel und Dalila das palästinensische Volk repräsentieren soll, ebenso.
Sänger und Orchester
Beeindruckend ist die Stimme von Maria Streijffert als Dalila. Es gelingt ihr, die lyrischen Passagen mit einem dezenten und dennoch ungeheuer fülligen Klang zu singen, sehr fein nuanciert und dynamisch ausgewogen. Lars Clevemans Samson bleibt ein wenig blaß, obwohl ihm ein imposantes Heldentenortimbre zur Verfügung steht. Die schwächste sängerische Leistung war mit Sicherheit die von Sten Wahllund als Abimelek. Sowohl die Intonation als auch die technische Beherrschung der Stimme ließen hier einiges zu wünschen übrig, was leider auch für das Dirigat von Johannes Gustavsson gilt. Zwar vermochte es das Orchester, unter seiner Leitung ausdrucksvoll vorzutragen, doch fehlte es mitunter an der notwenigen rhythmischen Präzision im Zusammenspiel mit den Chören und Ensembles, besonders in den einstimmigen Passagen.
Fazit
Es gelingt dem Regieteam, sich dieses äußerst heiklen und polarisierenden Themas anzunehmen, ohne für eine Seite Partei zu ergreifen. Stellenweise ist die Wahl der Mittel vielleicht etwas zu plakativ, wenn etwa der alte Hebräer wie David Ben Gurion aussieht, die Hebräer im ersten Akt gleich an zwei unterschiedlichen Stellen Gott vor einer Klagemauer um Hilfe anrufen oder während des Orchestervorspiels zum dritten Akt ein Portrait von Jitzchaq Rabin eingeblendet wird. Ein engagiertes Regiekonzept, das von der originalen Handlung erheblich abweicht, gute Sänger in den Hauptpartien und ein mittelprächtiges Dirigat zeichnen diese Produktion aus. Der Gesamteindruck ist trotz allem überwiegend positiv, weil die Kommentierungen und Umdeutungen der Regie zumeist in sich schlüssig und dabei verständlich formuliert sind.
Dr. Martin Knust

Bild: Hans Nilsson
Das Bild zeigt Maria Streijffert als Dalila.

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