LA FILLE DU RÉGIMENT – DIE REGIMENTSTOCHTER – Paris, Opéra national, Bastille

von Gaetano Donizetti (1797-1848), Opéra-comique (Singspiel) in 2 Akten, Libretto: Jules Henri Vernoy de Saint-Georges und Jean-François Alfred Bayard, UA: 11. Februar 1840 Paris, Opéra-Comique, Salle des Nouveautés

Regie/Kostüme: Laurent Pelly, Bühne: Chantal Thomas, Licht: Joël Adam, Dialoge und Dramaturgie: Agathe Mélinand

Dirigent: Marco Armiliato, Orchester und Chor der Opéra national, Choreinstudierung: Patrick Marie Aubert

Solisten: Natalie Dessay (Marie), Juan Diego Florez (Tonio), Doris Lamprecht (Die Marquise de Berkenfield), Francis Dudziak (Hortensius), Alessandro Corbelli (Sulpice), Dame Felicity Lott (Die Herzogin de Crakentorp) u.a.

Besuchte Aufführung: 15. Oktober 2012 (Premiere, Koproduktion mit dem Royal Opera House, London und der Metropolitan Opera, New York)

Kurzinhalt

Marie wurde als Findelkind von Soldaten eines Napoleonischen Regiments großgezogen. Alle Soldaten fühlen sich als ihr Vater. In den Tiroler Bergen ergreifen sie Tonio, der auf der Suche nach Maria war. Man vermutet in ihm einen Spion. Marie bittet um seine Freilassung, da er ihr vor kurzer Zeit das Leben gerettet habe. Doch die Marquise von Birkenfeld, die vorbeikommt, erfährt zufällig in einem Gespräch mit dem Offizier des Regiments von Marie. Dabei erkennt sie in ihr die Tochter ihrer verstorbenen Schwester. Sie nimmt Marie mit ihr auf ihr Schloß und will sie mit dem Sohn der Herzogin von Crakentorp verheiraten. Tonio, inzwischen Soldat beim Regiment, kommt zur Hochzeit aufs Schloß. Unter dem Eindruck von Tonios Erzählung, gibt die Marquise de Berkenfield ihr Einverständnis zur Heirat Maries mit Tonio.

Aufführung

Schränke, Tische und sonstige Möbelstücke bilden einen Wall über die ganze Bühnenbreite. Verängstigte Männer und Frauen ducken sich dahinter, man hört dumpfen Kanonendonner. Danach öffnet sich die Bühne für eine weite Ebene, die im Hintergrund von Hügeln begrenzt wird. Im Vordergrund sieht man nebeneinander stehende Pritschen, wohl für Soldaten. Im zweiten Akt stellt die Bühne ein vornehmes Zimmer mit hohen braunen schweren Schränken und einem Flügel dar. Auf der rechten Seite findet sich ein hoher Kamin. Die Kostüme der Damen sind ausladend wie z.B. bei der Marquise de Berkenfield. Die Soldaten tragen blaue Uniformen und Helme mit Pickel wie im Ersten Weltkrieg. Marie ist zunächst in ein weißes, ärmelloses Hemd mit Soldatenhose und breiten Hosenträger gekleidet, während Tonio mit lederner Latzhose, grünbraunem Pullover über einem weißem, langärmeligen Hemd, knielangen Baumwollstrümpfe und ausladenden Halbschuhen daherkommt. Später erscheint Marie im weißen Tüllkleid und Tonio in Uniform.

Sänger und Orchester

Mit großem Schwung legt das Orchester nach der langsamen Einleitung der perfekt spielenden Hörner unter Marco Armiliato das anschließende Allegro hin. Nach diesem wohlgelungenen Auftakt tritt als erstes der Chor mit akkurat geführten Stimmen in sicherem Wechsel mit den Solisten in Erscheinung. Die Deutlichkeit der Artikulation läßt nichts zu wünschen übrige. Beim folgenden Duett zwischen Alessandro Corbelli (Sulpice) und Natalie Dessay (Marie) kann man sich schwer entscheiden, was man mehr bewundern soll: die schauspielerische oder die gesangliche Leistung, was besonders bei Natalie Dessay schwerfällt, da sie ihre kleinen Koloraturphrasen ungemein witzig in ihre burschikose Darstellung hineinnimmt. Allein das Vibrato von Corbelli verdunkelt ab und zu die Intonation. Das komödiantische Element glänzt auch bei der nächste Szene, in der Marie Tonio drollig unschuldig fragt, warum er bei den Soldaten aufgetaucht sei und seine ebenso harmlos naive Antwort, daß er sie lediglich gesucht hätte. Ihr gemeinsames Singen bei De ce aveu si tendre– Bei solch süßem Geständnis (1. Akt) wird ein Höhepunkt in allem, was ein vollendetes Duett ausmacht: in Rhythmus, Intonation, Dynamik, Artikulation und – in diesem Fall – der ungemein lyrische Stimmung. Hinzu kommt noch die nachgebende Begleitung des Orchesters, besonders bei den Ritardandi und der darauf folgenden Beschleunigung. Während sich bei der wirklich virtuosen Darstellungsform mal die eine oder andere Intonationsschwankung bei Frau Dessay bemerkbar macht, ist davon bei Juan Diego Flòrez (Tonio) nichts zu merken. Der von allen erwartete, „olympische“ Höhepunkt der neun, dreigestrichenen hohen C’s in Ah! mes amis – Ah! Meine Freunde gelingt Flòrez so wohlgerundet, sein Passaggio (Registerwechsel) ist so perfekt, daß kaum ein anderer Tenor ihm dies nachbilden könnte. Die Melomanen danken es ihm mit ohrenbetäubendem Applaus. Flórez selbst zeigt überhaupt keine Anstrengung. Ein Simmwunder! Maries Abschiedsgesang konnte darauf nicht klagender und kontrastreicher sein, wobei sie eine Messa di voce (Ausschicken der Stimme) mit unnachahmlichem Können zeigt.

Die schauspielerischen Leistungen im zweiten Akt (z.B. die vier Putzfrauen) zu beschreiben wäre reizvoll, doch sie ist hier nicht am Platz.

Fazit

Es war vom Gesang, dem Orchester, der Darstellung und des Rahmens (Bühnenbild, Kostüme) gesehen ein vollendeter Abend. Der nicht enden wollende Applaus des stehenden Publikums ergoß sich nicht nur über die Sänger, sondern ebenso – und mit Recht – über das Regieteam mit Laurent Pelly.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Agathe Poupeney

Das Bild zeigt: Natalie Dessay (Marie), Juan Diego Florez (Tonio) et Alessandro Corbelli (Sulpice)

 

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