DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL – Essen, Aalto-Theater

von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Singspiel in drei Aufzügen, Libretto: Johann Gottlieb Stefanie nach Christoph Friedrich Bretzner,  UA: 16. Juli 1782 Wien, Burgtheater

Regie: Jetske Mijnssen, Bühne: Sanne Danz, Kostüme: Arien de Vries

Dirigent: Christoph Poppen, Essener Philharmoniker, Chor des Aalto Theaters, Einstudierung: Alexander Eberle

Solisten: Simona Saturova (Konstanze), Christina Clark (Blonde), Bernhard Berchtold (Belmonte), Albrecht Kludszuweit (Pedrillo), Roman Astakhov (Osmin), Maik Solbach (Bassa Selim)

Besuchte Aufführung: 10. Juni 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Konstanze ist zusammen mit ihrer Zofe Blonde und deren Liebhaber Pedrillo von Piraten entführt und in die Sklaverei verkauft worden. Ihr „Besitzer“, ein zum Islam konvertierter Europäer mit Namen Bassa Selim, behandelt sie gut. Konstanze hat jedoch unter seinen Annäherungsversuchen zu leiden, während Blonde sich den einfältigen Haushofmeister Osmin vom Leib halten muß. Inzwischen ist Konstanzes Verlobter Belmonte inkognito in die Dienste des Bassa getreten. Gemeinsam mit Pedrillo schmiedet er Fluchtpläne, die ausgerechnet von Osmin vereitelt werden. Als Bassa Selim entdeckt, daß Belmonte der Sohn seines Todfeindes ist, schwört er blutige Rache. Am Ende siegt jedoch seine – durch die Liebe zu Konstanze motivierte – Großmut: Er läßt die beiden Paare ziehen.

Aufführung

Die Bühne setzt sich aus weißen, ineinander verschachtelten Rechtecken zusammen, die sich nach hinten zu einem treppenartigen Konstrukt öffnen können.

Durch : Jetske Mijnssen geänderte Handlung: Pedrillo und Osmin richten eine Überraschungsparty zum 40. Geburtstag ihres Freundes Bassa Selim aus. Dieser kommt gerade mit seiner neuen Flamme Konstanze von einer Reise heim und ist alles andere als begeistert – vor allem, da uneingeladen auch noch Konstanzes Verflossener, Belmonte, auftaucht und seine Ex-Freundin zurückfordert. Als dann noch Pedrillos Freundin Blonde ungeniert mit Osmin flirtet, kann auch eine Supermarkt-Palette Heineken-Bier die Stimmung nicht mehr retten. Immerhin verkürzt Pedrillo mit den leeren Dosen dem Publikum die Pause. Nach einigem Hin und Her und vielen Tränen entscheidet sich Konstanze schließlich für Bassa Selim. Aber dieser ist den Beziehungsstress inzwischen leid und weist sie zurück. Während die Paare und Osmin ratlos auseinandergehen, beschließen eine Reprise der Ouvertüre und eine Instrumentalversion des Janitscharen-Chores die Aufführung.

Sänger und Orchester

Der Star des Abends sind die Essener Philharmoniker unter Christoph Poppen: Überschäumende Lebensfreude, federnd-leichte Eleganz und wunderbare Soli entfalten eine Sogwirkung, der man sich bis zum Schluss nicht entziehen kann. Mehr als einmal stehlen die Musiker den Sängern die Schau. Bravissimo! Ebenbürtig ist Simona Saturova (Konstanze), die mit funkelnden Koloraturen, schwebenden Piani und gestalterischer Phantasie alle Register ihres Fachs zieht. Die Arie „Traurigkeit war mir zum Lose“ singt sie so herzergreifend schön, dass das unmittelbar darauf folgende Bravourstück „Martern aller Artern“ zur Nebensache wird. Puren Wohlklang verströmt auch der Mozart-versierte Bernhard Berchtold (Belmonte), der vor allem im Duett mit Saturova („Meinetwegen sollst du sterben“) zu Bestform aufläuft. Christina Clark (Blonde) gibt ein szenisch und vokal gleichermaßen quirliges kleines Biest –  während Roman Astakhov (Osmin) zwar optisch kein „alter grober Bengel“ ist, mit kurzatmigem, polterndem Bass aber genau die Rollenklischees bestätigt, von denen man sich an diesem Abend laut Programmheft eigentlich lösen wollte. Albrecht Kludszuweit (Pedrillo) gefällt vor allem bei dem feinsinnig dargebotenen Lied „Im Morgenland gefangen war“, Raum zur komödiantischen Entfaltung hat er jedoch nicht. Und dem charismatischen Maik Solbach (Bassa Selim) bleibt leider nur, sich mit den eigens für diese Aufführung geschriebenen hölzernen Dialogen abzumühen.

Fazit

Nicht wenige Regisseure haben sich an der Entführung die Zähne ausgebissen. Jetske Mijnssen verzichtet immerhin darauf, den Nahost-Konflikt (u.a. zu sehen in Salzburg, 1989) oder ein Sado-Maso-Bordell (Berlin, 2004 ) zu bemühen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber sie nimmt die Herausforderung erst gar nicht an, sondern erfindet kurzerhand ein eigenes Stück mit neuen Dialogen (s.o.) – ein diskussionswürdiger Ansatz, bei dem der Kontrast zwischen gesprochenem und gesungenem Text mehr als einmal die Lachmuskeln reizt. Da sich Mijnssen außerdem nicht zwischen Seifenoper (Ist sie etwa mit diesem Typen zusammen?) und Drama Strindbergschen Ausmaßes (In meinem Kopf ist Chaos) entscheiden kann, läuft der Abend ins Leere: Spätestens nach der Pause bleibt szenisch nur noch Langeweile. Das Produktionsteam wird dafür mit Buhrufen überschüttet. Keine runde Sache also diesmal in Essen. Im Gedächtnis bleiben ein engagiertes Ensemble (mit einer Sopranistin von internationalem Format an der Spitze) und Mozart vom Allerfeinsten aus dem Orchestergraben. Daß der Abend instrumental endet, ist daher nur konsequent.

Dr. Eva-Maria Ernst

Bild: Ben van Duin

Das Bild zeigt: Simona Saturova (Konstanze), Mail Solbach (Bassa Selim)

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