LA DIDONE – Paris, Théâtre des Champs-Élysées

von Pier Francesco Cavalli (1602-1676), Opera rappresentata in musica in drei Akten mit Prolog, Libretto: Francesco Busenello nach Virgil, UA: Karneval 1640/41 Venedig, Teatro di San Cassiano

Regie Clément-Hervieu Léger, Bühne: Eric Ruf, Kostüme: Caroline de Vivaise, Dramaturgie: Pierre Judet de la Combe, Licht: Bertrand Couderc

Dirigent: William Christie, Les Arts Florissants

Solisten:  Anna Bonitatibus (Didone), Krešimir Špicer (Enea), Xavier Sabata (Iarba), Maria Streijffert (Ecuba), Katherine Watson (Cassandra, Damigella 1, Dama III), Tehila Nini Goldstein (Creusa, Guinone, Damigella II, Dama II), Mariana Rewerski (Fortuna, Anna, Dama I), Claire Debono (Venere, Iride, Damigella III), Terry Wey (Ascanio, Armore, Cacciatore), Nicolas Rivenq (Anchise, Un Vecchio),  Valerio Contaldo (Corebo, Eolo, Cacciatore), Mathias Vidal, (Ilioneo, Mercurio), Joseph Cornwell (Acate, Sicheo, Pirro), Francisco Javier Borda (Sinone Greco, Giove, Nettuno, Cacciatore)

Besuchte Aufführung: 16. April 2012

Kurzinhalt

Venus verspricht dem Helden Äneas, sich bei der Schicksalsgöttin für ihn einzusetzen und überzeugt ihn, das brennende Troja zu verlassen. Iarba, der König der Gaetuler, wirbt erfolglos um die immer noch trauernde Witwe Dido. Juno ist wütend, daß Aeneas entkommen ist, und beauftragt den Windgott Eolo seine Flotte zu zerstören, doch Neptun beschützt die Trojaner. Venus entsendet den Liebesgott Amor zu Didone, um sie in Liebe zu Äneas entflammen zu lassen. Auch Äneas, verliebt sich in Didone, als er sie in Carthago kennenlernt. Didone versucht zu widerstehen, aber erliegt ihrer Leidenschaft. Iarba verliert darüber den Verstand. Jupiter, über das lange Verweilen des Helden bei Didone verärgert, schickt ihm Merkur, um ihn an seine Mission in Italien zu erinnern. Äneas will heimlich absegeln, aber Didone überhäuft ihn mit Vorwürfen und fällt vor Verzeiflung in Ohnmacht. Äneas segelt ab. Merkur läßt Iarba wieder zu Verstand kommen. Iarba und Didone retten sich gegenseitig vor dem Selbstmord. Und Didone willigt ein, Iarbas zu heiraten.

Aufführung

Traditionelle Bühnenbilder. Im düsteren ersten Akt eine antike Fassade in Trümmern im eroberten Troja, davor ein Haufen leerer Paletten und ein toter Hirsch. Im zweiten und dritten Akt eine holzgetäfelte Innenwand, daran gelehnt ein Baugerüst, auf dem die Götter ihre Auf- und Abtritte machen. Sonst taucht, ab der Jagdszene, wieder der tote Hirsch auf, dessen Symbolik unklar ist. Die Kostüme sind einfach: Hemd und Hose mit langen weitem Umhang für die Männer, lange Kleider mit langem weitem Umhang  für die Frauen, alle meist dunkel oder schwarz, nur Iabas, Didone, die drei Hofdamen und die Göttinnen haben einfarbige, bunte Kleider. Venus erscheint mit einem Handköfferchen.

Sänger und Orchester

Ob dramatisch verzweifelt oder sanft verliebt, Anna Bonitatibus singt und spielt mit vollem, reinen Mezzo und einem besonders reizvollen, unverwechselbaren vibrato mit großer Feinfühligkeit die leidend liebende Didone, wie in der prophetischen Traumerzählung Stà mane, mentre l’alba (2. Akt, 3. Szene), oder in der Schmähungszene, in der Verzweiflung, Wut und demütige Liebe sich abwechseln, Perfido, disleale, così la fuga tenti (3. Akt, 7. Szene). Wenn sie leidet, leidet man mit ihr, und wenn sie glücklich ist, wagt man in dieser düsteren Atmosphäre an ihr Glück nicht zu glauben. Krešimir Špicer, mit kräftiger, etwas rauer Tenorstimme, ist sogar als der kriegerische Held Aeneas (Enea) zu einer zartfühlenden Regung fähig, wie in der Wiegenliedarie Dormi, cara Didone (3 .Akt, 6. Szene). Xavier Sabata ist mit gefälligem Contra-Tenor der unglückliche Iarba, der uns allerdings ausgerechnet in seiner grotesk-erotischen Wahnsinnsszene unter Mithilfe der drei lebenslustigen Hofdamen die einzige komische Szene dieser tragischen Geschichte liefert, welche den possenhaften Ton späterer Werke Cavallis, u.a. der La Calisto schon vorwegnimmt (vgl. dazu OPERAPOINT 10/3, Théâtre des Champs-Élysées). Von den anderen Mitwirkenden sei noch die klare, kontrollierte Stimmführung des Contratenors und ehemalischen Wiener Sängerknabens Terry Wey erwähnt, sowie das unheimliche, aber sehr bewegende lamento Tehina Nini Goldsteins Enea, diletto Enea als Geist der toten Creusas. Mit den übrigen Sängern und Sängerinnen bilden sie ein stimmlich wie schauspielerisch hervorragend auf einander eingespieltes Ensemble.

William Christie leitet mit diskreter Meisterschaft diese Solisten und das absichtlich klein gehaltene Instrumentalensemble bestehend aus vier Streichern und einer Blockflöte mit als basso continuo: Violoncello, Gambe, Lirone, Dulzian, Harfe, Theorbe, Laute, Gitarre und Cembalo).

Fazit

Dieses dritte Bühnenwerk Cavallis ist noch keine Oper im heutigen Sinne. Die Oper als Kunstgattung wurde gerade erst „erfunden“ und ist als recitar cantando eines dichterischen Textes mit seinen zahlreichen affetti (Gemütsbewegungen) ein Schauspiel, in dem ganz entschieden das Wort noch vor der Musik die erste Rolle spielt, deren Begleitinstrumente uns kaum noch bekannt sind, und in dem Rezitativ und arioso noch kaum unterscheidbar sind. Es ist dem Théâtre des Champs Elysées und der fruchtbaren Zusammenarbeit von William Christie und Clément Hervieu-Léger sowie allen Ausführenden zu verdanken, daß dieses drei Stunden währende „gesungene Gedicht“ zu einem einmaligen musikalischen und szenischen Vergnügen wird.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Vincent Pontet/Wikispectacle

Das Bild zeigt: Anna Bonitatibus (Didone), Krešimir Špice

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