PARSIFAL – Kassel, Staatstheater

von Richard Wagner (1813-1883), Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen, Dichtung: Richard Wagner, nach dem mittelalterlichen Epos von Wolfram von Eschenbach UA: 26. Juli 1882 Bayreuth, Festspielhaus

Regie: Helen Malkowsky, Bühne: Harald B. Thor

Dirigent: Patrik Ringborg, Staatsorchester Kassel, Opernchor, Extrachor und Kinderchor Cantamus des Staatstheaters Kassel, Choreinstudierung: Marco Zeiser Celesti und Merle Clasen

Solisten: Espen Fegran (Amfortas), Krzysztof Borysiewicz (Titurel), Mario Klein (Gurnemanz), Christian Elsner (Parsifal), Marc-Olivier Oetterli (Klingsor), Ursula Füri-Bernhard (Kundry, Stimme aus der Höhe), u.a.

Besuchte Aufführung: 6. April 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Amfortas leidet an einer Verletzung, die er bei dem Raub des heiligen Speers durch Klingsor erlitten hat. Nur durch die Berührung mit dem heiligen Speer ist Heilung möglich – durch „einen reinen Tor“. Gurnemanz hält Parsifal für den „reinen Tor“ und nimmt ihn mit in die Gralsburg. Als er sich getäuscht sieht, setzt er Parsifal vor die Tür. Parsifal findet den Zaubergarten Klingsors mit seinen verführerischen Mädchen. Als auch Kundry ihn nicht halten kann, versucht Klingsor ihn mit dem Speer zu bannen. Parsifal ergreift den Speer, der Zaubergarten versinkt. Parsifal kehrt zurück zu den Gralsrittern, die von Amfortas fordern, den Gral zu enthüllen, doch Amfortas will lieber sterben. Parsifal heilt die Wunde mit dem Speer und enthüllt den Gral.

Aufführung

Während des Vorspiels sieht man viel Blut über die gefalteten Hände Dürers laufen, dann hebt sich der Vorhang und läßt den Blick auf graue blutverschmierte Mauern fallen. Es könnte eine Festung der Neorenaissance sein, genauso gut aber faschistoiden Zeiten entstammen. Die Hinterwand kann in einer runden Öffnung einen Ausblick auf kahle Bäume bieten, oder ein allsehendes Auge aufnehmen. Amfortas Wunde blutet beständig, das Reinigungskommando der Knappen kommt nicht nach. Diese weiß gekleidete Gesellschaft steht in der Tradition von Mozarts Zauberflöte und der Freimaurer. Den Weg zu dieser Wissensgesellschaft findet man zwangsweise per Einberufung. Die Gralsszene des ersten Aktes ist ein Einberufungsakt mit trauernden Angehörigen. Da sind Gral und Speer, genauso wie Reagenzglas, Kugelpendel, Uhr und Roman, keine religiösen Objekte sondern Monstranzen des Wissens. Klingsors Zaubergarten befindet sich in derselben Kulisse, seine Blumenmädchen tragen schwarzen Unterrock und ziehen sich einfarbige Kleider über. Aus einem Koffer zaubert Klingsor Speere in großer Anzahl hervor. Als Parsifal irgendeinen Speer ergreift, geht kein Zaubergarten unter, nur Klingsor blutet unterhalb des braunen Waffenrockes im Schritt. Statt Karfreitagszauber wird Kundry als Hexe verbrannt. Zur großen Gralszene am Schluß gehen alle ab, während Amfortas auf der leeren Bühne die Asche seiner Freundin Kundry einsammelt, mit der er trotz Wunde im ersten Akt ein Stelldichein hatte.

Sänger und Orchester

Packender kann der Unterschied nicht sein zwischen dem Bühnengeschehen und den musikalischen Welten des Staatsorchesters unter Patrik Ringborg, der einen mystischen Parsifal entfesselt, der so durchdacht ist, wie die Inszenierung intelligent sein will. Da entsteht nicht nur weihevolles Pathos bei getragenem Tempo, der Karfreitagszauber ist bis in die letzten Nuancen aufgedröselt. Da entstehen frühlingshafte Farbwelten vor dem inneren Auge des Zuhörers. Ebenso brillant ist der vollmundig-harmonische Chor des Staatstheaters, besonderes Lob für den Kinderchor, der als unsichtbare Stimmen aus der Höhe ein ganz neues Klangerlebnis der Gralsszene ermöglicht.

Espen Fegrans ist ein strahlender Helden-Bariton mit Durchschlagskraft und guter Textverständlichkeit. Hier formt seine schauspielerische Stimmgestaltung den Amfortas zu einem trauernden Helden. Ähnliches kann man über Krzysztof Broysiewicz sagen, der den Titurel als dominanten Zeremonienmeister zeichnet. Bei Mario Klein als Gurnemanz beginnt man über die negativen Seiten schauspielerischer Stimmgestaltung nachzudenken. Als Pogner in den Meistersingern blieb er durchschlagsstark in Erinnerung. Sein Gurnemanz ist zwar wortgewaltig, jedoch stimmlich zu verhalten und klingt manchmal mehr deklamatorisch. Marc-Olivier Oetterli ist schon während der Aufführung unzufrieden mit seinem Klingsor, hat viele Probleme um in tiefen Lagen Dämonie aufkommen zu lassen. Ursula Füri-Bernhard besitzt eine hochdramatische Sopranstimme mit viel Strahlkraft im Forte, auch bei den hohen Tönen. Ihre Seufzer klingen wie ein Jodeln und nerven den Zuhörer, statt Parsifal zu verführen. Christian Elsner ist ein lyrischer Wagnertenor, der Parsifal wohlklingend jubeln läßt, auch wenn man bei seiner Körperfülle etwas mehr Stimmvolumen erwartet hatte.

Fazit

Wer ist der Gral? Das sagt sich nicht! So hat es Wagner in seinem Parsifal formuliert. Nachdem Helen Malkowsky sämtliche Regieanweisungen ignoriert oder ad absurdum geführt hat, sämtliche christlichen Symbole entfernt oder entwertet hat, bleibt von der Substanz des Parsifal nicht mehr viel übrig. Kein Gebet, kein Abendmahl, keine Gralsszene, keine Taube, aber auch kein zerbrochener Bogen oder Schreie Kundrys. Die Kleidung des übergewichtigen Parsifals ist geschmacklich unbeschreiblich. Man muß es dem weltoffenen Kasseler Publikum hoch anrechnen, daß es diese Regie freundlich abnickt. Denn Orchester und Chor dominieren die mystisch-positive Erinnerung.

Oliver Hohlbach

Bild: N. Klinger

Das Bild zeigt: Marc-Olivier Oetterli (Klingsor), Christian Elsner (Parsifal), Ursula Füri-Bernhard (Kundry) v.l.n.r.

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