Anna Bolena – Wien, Staatsoper

von Gaetano Donizetti (1797-1848), Tragedia lirica in zwei Akten, Libretto: Felice Romani

UA: 26. Dezember 1830, Mailand, Teatro Carcano

Regie: Eric Génovèse, Bühne: Jacques Gabel/Claire Sternberg, Kostüme: Luisa Spinatelli, Licht: Bertrand Couderc

Dirigent: Evelino Pidò, Orchester und Chor der Wiener Staatsoper, Choreinstudierung: Thomas Lang/Martin Schebesta

Solisten: Ildebrando D’Arcangelo (Enrico VIII.), Anna Netrebko (Anna Bolena), Elina Garanča (Giovanna Seymour), Dan Paul Dumitrescu (Lord Rochefort), Francesco Meli (Lord Riccardo Percy), Elisabeth Kulman (Smeton), Peter Jelosits (Sir Hervey)

Besuchte Aufführung: 2. April 2011 (Premiere)

Kurzinhalt

Heinrich VIII. von England, seiner zweiten Gemahlin Anne Boleyn überdrüssig, hat sich in deren Hofdame Jane Seymour verliebt. Diese verlangt Ehe und Thron. Der König begnadigt Lord Percy, den Anne seinerzeit verlassen hatte, um Heinrich zu heiraten und so Königin zu werden. Lord Percy kehrt aus dem Exil nach England zurück. Er ist immer noch in Anne verliebt. Man erwischt die beiden im Schlafgemach der Königin und ebenso auch den Pagen Smeton. Smeton legt ein falsches Geständnis ab, weil man ihm weisgemacht hat, nur so könne er das Leben der Königin retten. Nach diesem Geständnis werden Anne Boleyn, alle ihre Mittäter und Mitwisser (Smeton, Lord Percy und Lord Rochefort) zum Tode verurteilt. Jane Seymour packt das schlechte Gewissen und sie fleht den König um Gnade an, was ihr gewährt wird. Lord Percy und Rochefort werden begnadigt. Sie lehnen die Gnade aber ab.  Anne Boleyn wird enthauptet.

Aufführung

Die vorherrschende Farbe auf der Bühne ist (dunkel)blau. Einzige rötliche Farbtupfer sind im Mantel des Königs und die Mütze von Sir Hervey. Jane Seymour, mit blondem Schopf, erscheint im weißen Gewand. An den recht prächtigen Kostümen konnte man sich weiden. Die in U-Form aufgebauten Wände der Bühne  erinnern an ein Logistikzentrum der Deutschen Post. Die Wand zeigt Toreinfahrten, der obere Teil ist fixiert, die untere Hälfte läßt sich wie ein Garagenrolltor bewegen. Im ersten Akt öffnen sich die Schenkel dieses U spitzwinklig zum Betrachter. In der Mitte steht ein wie ein ärztlicher Behandlungsstuhl wirkender Thronsessel. Einmal sind die Rolltore hochgefahren und dahinter schimmert silhouettenartig etwas, das den Betrachter entfernt an einen Wald erinnert. Im Schlafgemach der Königin ist alles verdunkelt, ähnlich in der – letzten – Kerkerszene: Da erscheinen die Rolltore aus Ziegelsteinen gemauert. Und eines der Rolltore kann man zum mehr oder weniger spektakulären Schluß dann als Guillotine benutzen.

Sänger und Orchester

Evelino Pidò dirigierte engagiert und präzise. Allzuviel hatte er nicht gestrichen, insgesamt etwa eine Viertelstunde. Er sparte manchmal die Kabalettas (Arienschlußsätze) aus, was arg das Tempo abbremste. Die Bläser allerdings waren noch nicht ganz auf Premierenkurs.

Extra Lob für Elisabeth Kulman in der Hosen-Rolle des Pagen Smeton! Mit klarer Stimme und  weitgespannten Bögen eroberte sie sich die Herzen des Wiener Publikums zum ersten größeren Szenenapplaus. Doch nun zu den beiden – man kann sagen – ebenbürtigen Königinnen des Abends: Anna Netrebko hatte eine neue Glanzpartie. Mit ihrem etwas dunkler und voller gewordenen Timbre verkörperte sie die Rolle der Anne Boleyn in stimmlicher und darstellerischer Perfektion, auch wenn sie eher Wert auf exakte und gerade Stimmführung legte anstatt ein exaltiertes Feuerwerk an Koloraturen abzubrennen. Die ideale Ergänzung, sowohl optisch wie auch stimmlich war Elina Garanča. Mit ihrem heller klingenden Mezzo ist sie die genau abgestimmte Rivalin um die Gunst des Königs. Ob als lockende und fordernde Verführerin oder als von Schuldgefühlen geplagtes neues Opfer des schlimmen Heinrichs, ebenfalls Perfektion in Vollendung. Eine bessere Besetzung dieser klangvollen Oper in den Titelrollen ist derzeit nicht vorstellbar. Da hatten es die Herren schwer mitzuhalten. Offenbar durch die Querelen im Vorfeld der Premiere – im sehr gut gemachten, umfangreichen Programmheft war Giacomo Prestia als Heinrich VIII. angesagt – hatte Ildebrando D’Arcangelo augenscheinlich nicht seinen besten Tag. Immer eine gut anzuschauende Erscheinung wirkt er als Typ einfach nicht perfide und bösartig genug, um den gattenmordenden Monarchen gänzlich glaubwürdig darstellen zu können. Et wirkte auch ein wenig kraftlos und insbesondere in den Tiefen nicht düster genug. Dan Paul Dumitrescu (Lord Rochefort) hat mit feinem Bariton sehr gut gefallen, fast könnte man sich ihn als Heinrich vorstellen…Francesco Meli (Lord Percy) und Peter Jelosits (Sir Hervey) haben sich beide am Premierenabend nicht gerade als strahlende Tenöre profiliert, boten aber gleichwohl eine sehr passable, durchaus staatsopernmäßige Leistung.

Fazit

Riesen-Jubel und Standing Ovation für Anna Netrebko und Elina Garanča – und für Elisabeth Kulman. Vereinzelte, aber lautstarke Buhs für die Regie. Wäre das Bühnenbild so prachtvoll wie die sängerischen Leistungen gewesen, dann wäre es eine Jahrhundert-Premiere gewesen.

Rüdiger Ehlert

Bild: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Das Bild zeigt: Anna Netrebko als Anna Bolena

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