NABUCCO (Nabucodonosor, Nabukadnezar) – Rom, Teatro dell’Opera

von Giuseppe Verdi (1813-1901), lyrisches Drama in vier Teilen, Libretto: Temistocle Solera, UA: 9. März 1842, Mailand, Teatro alla Scala
Regie: Jean-Paul Scarpitta, Kostüme: Maurizio Millenotti, Licht: Urs Schönebaum, Fernsehregie: Lorena Sardi
Dirigent: Riccardo Muti, Orchester und Chor der Opera Roma, Chorleiter: Roberto Gabbiani

Solisten: Leo Nucci (Nabucco), Antonio Poli (Ismaele), Dmitry Beloselskiy (Zaccaria), Csilla Boross (Abigaille), Anna Malavasi (Fenena), Goran Jurić (Hohepriester des Baal) u.a.
Moderation: Annette Gerlach
Arte: 17. März 2011, 22.15 Uhr (zeitversetzte Live-Aufnahme, Premiere 12. März 2011)

Vorbemerkung

Anlaß der TV-Übertragung war der 150. Jahrestag der italienischen Staatsgründung. Den wichtigsten Festakt beging man im Opernhaus in Anwesenheit des italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano, des Ministerpräsidenten und des Bürgermeisters Roms.

Moderatorin Annette Gerlach wies immer wieder auf den Freiheitskampf des italienischen Volkes gegen die damalige „Besatzung“ Österreichs hin. Eine Oper als Fanal einer politischen Manifestation erinnert an die häufig in der Wissenschaft getadelte Tatsache, daß die Fürsten zur Barockzeit die Kunstwerke für ihre Zwecke benutzten.

Verdi hatte allerdings kaum die Absicht, mit seiner Oper der italienischen Nation zu  ihrer nationalen Einheit zu verhelfen. Ihm ging es um eine Darstellung der biblischen Geschichte der Babylonischen Gefangenschaft. Hierauf hat Ricardo Muti im Gespräch mit der Moderatorin dankenswerterweise deutlich verwiesen.

Aber es wurde musikalisch ein bemerkenswerter Opernabend.

Aufführung

Die Bühne zeigt keine Aufbauten bis auf ein Bild vom Babylonischen Turm, der in grauer Farbe angedeutet auf der Leinwand im Bühnenhintergrund erscheint, und zwar in dem Augenblick, in dem Nabucco sich zum Gott erhebt und vom Wahnsinn geschlagen wird. Während der Opernhandlung sieht man einen wolkenverhangenen, grauen Himmel vor einer Mondscheibe. Oder ist es eine Sonne? Die Hebräer, Frauen wie Männer, tragen körperlange wollene, grau-weiße Gewänder, Kopf, Schultern und Hüfte sind mit einem breiten Schal bedeckt. Die Baalpriester erscheinen ganz in schwarzen Gewändern und tragen helmartige Kopfbedeckung, während die assyrischen Soldaten in schwarzen Hosen mit  gepanzertem Oberkörper auftreten. Die Hauptpersonen sind dagegen prächtig in der babylonischen Zeit nachempfundenen Gewändern gekleidet. Nabucco und Abigail zeigen jeweils rotgelockte Haare, Fenena tritt wie eine Hebräerin in weißes Gewand auf.

Sänger und Orchester

Ein Sängeraufgebot höchster Qualität war zu bewundern. Der weltbekannte Leo Nucci stellte den größenwahnsinnigen Nabucco, den liebenden Vater und den zu hebräischen Glauben bekehrten assyrischen König sowohl mit großer Kraft und als auch sanfter Stimmführung dar, obwohl ihm letzteres nicht immer zu gelingen schien. Dennoch eine große Leistung für einen Sänger mit über 60 Jahren!

Dmitry Beloselskiy aus dem St. Petersburger Mariinsky Theater erschien würdevoll als Prophet Zaccaria. Mit seiner hohen Gestalt und ernstem Gesicht konnte man sich den Anführer der geknechteten Hebräer gut vorstellen. Aber wohl nicht wegen seines schönen Äußeren hatte man ihn engagiert, sondern wegen seiner überaus angenehmen Baßstimme. Kleine Flüchtigkeiten zu Anfang, wohl der Nervosität geschuldet, doch genaueste Tongebung, nie zu laut, nie zu leise, nur die Tiefen manchmal nicht stark genug, die Höhen immer leicht und nicht forciert. Verdi hatte immer ein Faible für solche Gestalten und formte sie auf unnachahmliche Weise.

Mit seiner klaren, hellen Tenorstimme brillierte Antonio Poli (Ismaele) bei seinen kurzen Auftritten. Seine Partnerin Anna Malavasi (Fenena) schien die Schüchternheit und Hingabe ihrer Rolle auf den Leib geschneidert. Ihr Niveau hielten die beiden jungen Sänger auch im Terzett mit Csilla Boross, deren strahlender Sopran sie leicht hätte untergehen lassen können.

Und mit letzterer sind wir beim sängerischen Höhepunkt. Verdi hat hier ja eine ungeheuer wirkungsvolle Gesangslinie geschaffen, die nur mit absoluter makelloser Technik im Belcantosingen zu bewältigen ist. Und die Ungarin Csilla Boross (Abigaille), durchmaß alle Höhen und Tiefen mit schier unglaublichem Können und souveräner Leichtigkeit. Schon im erwähnten Terzett kam das „hohe C“ (C´´´) glockenrein, ohne jegliche Aspiration mit tongenauer Widergabe der anschließenden abenteuerlich schnellen Tonleiterläufe. Die Abstürze vom G´´ bis zum tiefen C´ im Finale I Colei, che il solo mio ben contende – Sie, die mir den Geliebten streitig machte sind für sie problemlos. Den Gipfel erreichte ihre Gesangskunst in ihrem Solo Anch’io dischiuso un giorno – Auch mein Herz war der Freud‘ einst offen (2. Akt): zweimalige Kettentriller beim Aufstieg zum C´´´ und Tonleiter abwärts bis zum C‘, wobei sie das vor dem C´ gesetzte H° tadellos rund herausbrachte. Csilla Boross gehört zweifellos zu den gewichtigsten Verdisängerinnen. Kaum zu glauben, daß man sie jetzt erst auf einer großen Bühne erleben darf.

Die Chöre im Nabucco werden immer gerühmt und das geschieht zu Recht. Verdi hat sie sehr oft eingesetzt. Ihren Gipfelpunkt erreichten sie mit dem „Schmuckstück“ der Oper (Julian Budden), dem Chor Va‘ pensiero – flieg Gedanke, der in seiner Beliebtheit in Italien einer Nationalhymne gleichkommt. Nach nicht endendem Applaus wandte sich Riccardo Muti zum Publikum und erklärte u.a. daß, wenn die Kultur in Italien weiter erstickt würde, das einträte, was der Chor gesungen hat: Oh mia patria sì bella e perduta – Oh mein Vaterland, so schön und verloren! Und er forderte das Publikum auf nun mitzusingen, was alle aus vollem Herzen taten.

Fazit

Durch die ständigen, für die geschminkten Sänger nicht immer vorteilhaften Nahaufnahmen (z.B. bei Anna Malavasi (Fenena) die farbliche Betonung der Backenknochen) wurde man von der tristen Inszenierung Jean-Paul Scarpittas abgelenkt. In einem Interview mit Annette Gerlach betonte er, daß die Abwesenheit des Dekors die Aufgabe habe, den Zusammenprall der Figuren deutlicher zu machen und nicht der biblische Kontext. Der Regisseur also in der Nachfolge des sich zum Gott erklärenden Nabucco?

Eine gute Tat allerdings von Arte, dieses große Verdische Meisterwerk mit den überragenden Sängern aus der italienischen Hauptstadt zu übertragen!

Dr. Olaf Zenner

Bild: Corrado Maria Falsini

Das Bild zeigt:

Das Bild zeigt: Leo Nucci (Nabucco) inmitten der assyrischen Soldaten, hinter den Hebräern, Antonio Poli (Ismaele) sowie Dmitry Beloselskiy (Zaccaria), Anna Malavasi (Fenena) am Arm hält, re Csilla Boross (Abigaille)

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