Stuttgart, Staatsoper – LA JUIVE (DIE JÜDIN)

von Jacques Fromental Halévy (1799-1862); Grand Opera in fünf Akten; Text: Eugène Scribe; Uraufführung: 23. Februar 1835 Paris
Regie: Jossi Wieler/Sergio Morabito, Bühnenbild: Bert Neumann, Kostüme: Nina von Mechow
Dirigent: Sébastien Rouland, Staatsorchester Stuttgart
Solisten: Catriona Smith (La Princesse Eudoxie), Tatiana Pechnikova (Rachel), Chris Meritt (Éléazar), Liang Li (Le Cardinal de Brogni), Ferdinand von Bothmer (Léopold), Karl-Friedrich Dürr (Ruggiero), Christoph Soler (Albert), Sebastian Bollacher (Ausrufer)
Besuchte Vorstellung: 16. März 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
160308-la-juive.jpgVorgeschichte in Rom: Der jüdische Goldschmied Éléazar hat die Tochter des Magistrats Brogni aus den Flammen gerettet. Zuvor hatte er durch de Brogni seine Söhne im Feuer verloren. Er zieht das Mädchen ohne dessen Wissen als seine eigene Tochter Rachel im jüdischen Glauben auf. Brogni, nunmehr zum Kardinal aufgestiegen, ist 1414 nach Konstanz gekommen, um das Konzil zu eröffnen.
Weil er durch seine Hämmerarbeit die Ruhe der Konzilseröffnung stört, fordert Ruggiero den Tod für ihn und seine Tochter als Ketzer. Brogni begnadigt sie, den Handschlag verweigert der verbitterte Éléazar jedoch. Rachel hat sich in einen Mann verliebt, der vorgibt, Jude zu sein, in Wirklichkeit aber der christliche Reichsfürst Léopold ist, der mit Eudoxie, der Nichte des Kaisers, verheiratet ist. Als sie dies erkennt, beschuldigt Rachel ihren Geliebten mit ihr eine verbotene Beziehung zu haben. Kardinal de Brogni verurteilt das Liebespaar und Eléazar zum Tode. Rachel läßt sich durch die flehentliche Bitte von Eudoxie zur Zurücknahme ihrer Anschuldigung gegen Léopold überreden und erwirkt damit seine Begnadigung. Sie selbst könnte durch Konvertierung zum christlichen Glauben sich retten, aber sie entscheidet sich für den gemeinsamen Tod mit ihrem vermeintlichen Vater. Im Augenblick ihres grausamen Todes enthüllt Eléazar Rachels wahre Identität: Sie ist de Brognis verloren geglaubte Tochter. Während Eléazar triumphierend in den Tod geht, bricht Brogni zusammen.
Die Aufführung
Die Uraufführung der Jüdin am 23.Februar 1835 gilt neben Meyerbeers Robert der Teufel und Hugenotten als Geburtsstunde der Form der Grand Opera in Paris. In der Inszenierung der Stuttgarter Oper steht die innere Handlung im Mittelpunkt, d.h. das Beziehungsgeflecht zwischen den Juden Éléazar und Rachel sowie dem katholischen Kardinal de Brogni auf der einen Seite und zwischen Rachel, Eudoxie und Leopold (klassische Dreiecksbeziehung) auf der anderen Seite.
Ein sehr interessanter Ansatz, dem man schwerlich in allen Details gerecht werden kann, der innere Kampf Éléazars zwischen persönlicher Rache und religiösen Gefühlen ist vom Komponisten m.E. nicht eindeutig gelöst. Aber dem Team Wieler/Morabito gelingt über weite Strecken eine glaubwürdige Darstellung durch die klare Zeichnung der Charaktere und ihrer inneren Gefühle. Gut gelungen ist die Darstellung des inneren Kampfes von Éléazar: Er rächt sich am Ende an de Brogni, indem er Rachel und sich erschießt. Also keine Verbrennung, wie Halévy es vorgesehen hat.
Der Wutanfall Rachels als sie das doppelte Spiel Leopolds durchschaut ist zeichnet das Regieteam außerordentlich gekonnt, das Musterbeispiel einer Personenregie, ebenso wie die Darstellung Leopolds, als feiger Lüstling ohne Charakter und ohne Fähigkeit konsequent zu bleiben (ihm unterläuft sogar der Fehler, während des jüdischen Passahfestes das Kreuz zu schlagen!). Als Rachel ihn vor Eudoxie zur Rede stellen will, bricht er zusammen.
Aber, wie gesagt, für die Darstellung dieses inneren Kampfes gibt man eine glaubwürdige Rahmenhandlung auf. Zwar ist der Ansatz eines Historienspieles „Konzil von Konstanz“ faszinierend, aber im Verlauf eines Historienspieles ist ein mehrmaliger Übergriff einer ganzen Stadt auf „andersartige“ Mitbürger, nur weil sie sonntags arbeiten, nicht glaubhaft und führt die Ziele dieser Oper ins Abseits.
Hingegen ist es ein Verdienst dieser Produktion, daß sie das Werk Halévys fast vollständig wiedergibt. Erhalten geblieben sind auch die typischen Ballett-Einlagen, im ersten Akt beim Einzug in die Kirche und im dritten Akt (sogar zusammen mit der meist gestrichenen Pantomime!) als Eroberung Jerusalems, dargestellt durch ein Kinderballett, das so schrecklich unbeholfen wirkt, daß es schon wieder überzeugend ist.
Auch der hervorragend disponierte Chor wird in den Auftritten glänzend choreographiert.
Nicht ganz so viel Glanz verbreitet die Sängerriege. Ferdinand von Bothmer belegt eindrucksvoll, was passiert, wenn man die mörderische Partie des Leopold unterschätzt: Er verfügt zwar über eine sehr schöne Mittellage, jedoch die Höhen erreicht er nur mit Gewalt. Dagegen kann Chris Meritt in der „leichteren“ Partie des Éléazar glänzen: Ein Charaktertenor mit viel Volumen und Überzeugungskraft auch im dramatischen Bereich. Ebenso stürmisch gefeiert wurden zu Recht Tatiana Pechnikova als Rachel und Catriona Smith als Prinzessin Eudoxie. Liang Li führt die Rolle des Kardinals auf eine Nebenrolle zurück.
Ein weiterer Glanzpunkt des Abends ist das Orchester des Hauses unter der Leitung von Sebastien Rouland, dem es gelingt, mit viel französischem Esprit die Klangvielfalt der Musik Halevys den heutigen Hörgewohnheiten anzupassen. Eine Referenzeinspielung!
Fazit
Ein großartiger Abend also, mit gemischten Leistungen. Aber es sind solche Abende, denen es gelingt, die Grand Opera auf die Bühnen unserer Tage zurückzubringen.

Oliver Hohlbach
Bild: Martin Sigmund
Das Bild zeigt Tatiana Pechnikova (Rachel) und Chor der Staatsoper Stuttgart

Veröffentlicht unter Stuttgart, Staatsoper

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