MATHIS, DER MALER – Paris, Opéra Bastille

von Paul Hindemith (1895-1963), Oper in sieben Bildern, Libretto: Paul Hindemith, UA: 28. April 1938, Stadttheater Zürich.

Regie: Oliver Py, Bühne/Kostüme: Pierre-André Weitz, Licht: Bertrand Killy, Dramaturgie: Joseph Hanimann

Dirigent: Christoph Eschenbach, Orchester und Chor der Opéra National de Paris

Solisten: Scott Mac Allister (Kardinal Albrecht von Brandenburg), Mathias Goerne (Mathis), Thorsten Grümbel (Lorenz von Pommersfelden), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Wolfgang Capito), Gregory Reinhart (Riedinger),  Michael Weinius (Hans Schwalb), Antoine Garcin (Truchsess von Waldburg), Eric Huchet (Sylvester von Schaumberg), Melanie Diener (Ursula), Martina Welschenbach (Regina), Nadine Weissmann (Gräfin von Helfenstein), Vincent Delhoume (Pfeifer des Grafen)

Besuchte Aufführung: 16. November 2010 (Premiere)

Kurzinhalt

Indem der Maler Mathis (Matthias Grünewald) dem Bauernführer Hans Schwalb zur Flucht verhilft, greift er für die Aufständischen Partei. Den Kardinal, durch das Los der Bauern berührt nimmt Mathis gegen die fürstlichen Heerführer in Schutz. Die Protestanten fordern den Kardinal auf, zum Luthertum überzutreten und die reiche Bürgerstochter Ursula Riedinger zu heiraten. Ursula liebt Mathis. Doch Mathis zieht mit den Bauern. Schwalb und Mathis retten Gräfin Helfenstein vor marodierenden Bauern. Schwalb fällt in der folgenden Schlacht. Mathis wird von Gräfin Helfenstein gerettet. Er führt Schwalbs Tochter Regina vom Schlachtfeld. Um die Stellung der Protestanten zu stärken, ist Ursula bereit, auf Mathis zu verzichten, und den Kardinal zu heiraten. Doch der Kirchenfürst nimmt das Opfer nicht an. Er beschließt fortan ein einfaches Leben zu führen. Auf der Flucht mit Regina, im Odenwald rastend, sieht Mathis durch eigene Gewissenskonflikte inspirierte heilige Visionen an ihm vorüberziehen. Zurück in seinem Atelier malt er diese Visionen als  ungeheuer starke Altarbilder und nimmt daraufhin Abschied von seinem Wirken und von denen, die ihm nahe stehen.

Aufführung

Bauernkriege, Glaubenskämpfe und das Verhältnis eines Künstlers zum Leben und Lieben, zur Kunst, zur Politik und zu Gott – als Regisseur einem Werk mit so vielschichtigen Konfliktthemen gerecht zu werden, ist nicht einfach. Das Spiel mit beweglichen zwei bis dreistöckigen stilisiert gotischen Fensterfassaden, hinter der jeweils die Solisten, der Chor oder himmlische Visionen wie in Einzelzellen aufscheinen, ist sehr bühnenwirksam.  Bücherverbrennende NS-Schergen mit Spürhunden, sich im Kreis drehende Panzer, blendende Suchscheinwerfer oder rote Fahnen schwingende Bolschewiken liegen der Geschichte des Werks nahe,  aber decken nicht den philosophisch-religiösen Teil der Thematik ab. Nacktbrüstige Sirenen und sehr zahm aussehende Ungeheuer als Versucher des Heiligen Antonius scheinen eher einer drittrangigen musical production entlehnt als den genialen Visionen des Issenheimer Altars. Nur das siebente Bild, das Bild des letzten Verzichts, ist in dunkler Kargheit völlig stimmungsgerecht.

Sänger und Orchester

Mathias Goerne (Mathis) gelingt stimmlich wie körperlich eine ungeheure Bühnenpräsenz. Neben seinem kräftigen und reichen Baß-Bariton laufen andere Stimmen in Gefahr, dünn zu klingen. Glücklicherweise stehen ihm Melanie Dieners (Ursula) voller dramatischer Sopran und Scott Mac Allisters (Kardinal) hoher, schneidender Tenor gegenüber. Als vierte sei Martina Welschenbach (Regina) etwas herber, aber sensibler Sopran zu nennen. Alle andere Sänger und Sängerinnen fügen sich harmonisch in das Ensemble ein. Letztlich ist Mathis ein Drama des Verzichts: die beide Frauen entsagen ihrer Liebe zu Mathis, der Kardinal seiner Pracht und Macht und letztlich der Maler dem irdischen Lieben und Wirken. So gehören auch die dramatischen oder lyrischen Szenen des Verzichts musikalisch zu den eindrucksvollsten der Oper: das Duett Goerne-Diener (drittes Bild): Endlich kommst du, du befreist mich; das Duett Diener-Mac Allister (fünftes Bild): Du, Ursula ! Konnte ich ahnen, dass er dich meinte; und schließlich das verklärt-meditative letzte Bild in ungewohnt sanfter, lyrischer Orchesterbegleitung mit Reginas Tod, sehr einfühlsam gesungen von Martina Weissmann, mit dem endgültigen Abschied Ursulas und mit Mathis’ bewegender Flucht in innere Einsamkeit: Das ist der Kreuzweg, wo sich Tod und Leben scheiden.

Die eindruckvolle Interpretation der oft durch archaisch-volkstümliche Weisen oder Gregorianik inspirierter Chöre der Oper verdienen Erwähnung.

Als großer Kenner und Förderer der Musik des 20. Jahrhunderts dirigiert Christoph Eschenbach vorbildlich die komplexe Partitur mit ihrer großen Zurückhaltung im Emotionalen und mit ihrem herben, klarfarbigen, freitonalen Klangbild, in dem die Blechbläser immer wieder besonders zur Geltung kommen.

Fazit

Oliver Pys Regieversuch ist sehr uneinheitlich gelungen. Man kann aber dem neuen Direktor der Pariser Oper, Nicolas Joël, nur gratulieren dieses, eines der Hauptwerke der Opernliteratur der letzten 100 Jahre, das leider selten gegeben wird, auf den Spielplan gesetzt zu haben (und so viel ich weiß, das erste Mal in Paris in Originalfassung). Es wurde dann auch, Werk wie Interpreten, als eines der großen Ereignisse in der Geschichte des Hauses an der Bastille gefeiert.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Charles Duprat

Das Bild zeigt: Melanie Diener (Ursula), Matthias Goerne (Mathis) et Scott Mac Allister (Albrecht von Brandenburg)

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