LA DONNA DEL LAGO – Die Dame vom See – Paris, Palais Garnier

von Gioachino Rossini (1792-1868), Dramma giocoso in 2 Akten, Libretto: Leone Andrea Tottola nach der Verserzählung The Lady of the Lake (1810) von Walter Scott, UA: 18. Oktober 1819 Neapel, Teatro San Carlo

Regie: Lluís Pasqual, Bühne: Ezio Frigerio, Kostüme: Franca Squarciapino, Licht: Vinicio Cheli, Choreographie: Montse Colome

Dirigent: Roberto Abbado, Orchester und Chor der Opéra national, Choreinstudierung: Alessandro Di Stefano

Solisten: Juan Diego Flórez (Uberto/König Giacomo), Simon Orfila (Douglas), Colin Lee (Rodrigo), Joyce DiDonato

(Elena), Daniela Barcellona (Malcolm), Diana Axentii (Albina), Jason Bridges (Serano)

Besuchte Aufführung: 27. Juni  2010 (Koproduktion Teatro alla Scala und Royal Opera House)

Kurzinhalt

Im schottischen Hochland revoltiert der Clan gegen König Giacomo. Vor diesem kriegerischen Hintergrund ereignet sich die Liebesgeschichte der schönen Elena, Tochter von Douglas, Anführer des Clans und ihres Geliebten Malcolm. Elena trifft bei ihrer morgendlichen Bootsfahrt den unbekannten Jäger Uberto, der sich auf der Jagd verirrt hat. Dieser ist der verkleidete König Giacomo. Uberto verabschiedet sich rasch, als Douglas hinzukommt. Dieser will sie mit  Rodrigo, seinem Heerführer, verehelichen. Kurze Zeit später trifft Uberto erneut Elena, um ihr seine Liebe zu offenbaren, doch sie erklärt, daß sie schon lange Malcolm liebe. Enttäuscht zieht er sich zurück, übergibt ihr aber einen Ring, den sie bei Gefahr dem König zeigen sollte, womit sie gerettet würde. Die Aufständischen verlieren und der gesamte Clan kommt zusammen mit Elena in Gefangenschaft. Elena zeigt dem König den Ring. Zur Überraschung aller verzeiht er den Rebellen, so daß Malcolm und Elena ein Paar werden können.

Aufführung

Hohe kannelierte, goldenfarbene Säulen mit rund umlaufendem Gebälk bilden ein Halbrund, vor dem sich die Handlung abspielt. Je nach Szene öffnet sich das Halbrund, um einen Blick auf das schottische Hochland freizugeben. Männer im Frack und Frauen in bunten langen Abendkleidern, Sektgläser in der Hand, eröffnen die Opernhandlung. Später treten Elena und Uberto/König Giacomo in goldbestickten Gewändern auf. Die Krieger zeigen sich mit Helm, Brust- und Beinpanzern. Eine Tänzerin und ein bis zwei Tänzer in goldenen Gewändern kommen im Vorder- und Hintergrund hinzu und zeigen akrobatische Tänze. Im zweiten Akt beherrscht das Halbrund eine mächtige Eiche, unter der sich Elena, Uberto und Rodrigo mit Kriegern treffen. Am Opernende schließen sich wieder die goldenen Säulen. Die Damen und Herren, gekleidet wie zu Anfang, betreten das Halbrund, das nun mit sechs, statt den anfänglichen vier Kronleuchtern beleuchtet wird. Malcolm und Douglas treten im Frack mit goldbesticktem Umhang vor den König. Dieser und Elena haben ihr ursprüngliches goldenes Gewand an.

Sänger und Orchester

Bei ihrer Auftrittsarie löst Daniela Barcellona (Malcolm) mit ihren Spitzentönen großen Beifall aus. Simon Orfilas (Douglas) volltönender Baß hätte einen großen Genuß bereitet, wenn seine Artikulation besser  ausgefeilt gewesen wäre. Diese Oper verlangt neben Uberto einen zweiten, gleichstarken Tenor, Ein solcher ist Colin Lee (Rodrigo). Mit bester Artikulation und untadeliger Intonation gelingt ihm seine Auftrittsarie, worin er das „hohe C“ in vollkommener Leichtigkeit erreicht.

Eine der Schönheiten dieser Rossini-Oper sind die Duette der Protagonisten. Schon beim terzenselige Eingangsduett von Joyce DiDonato (Elena) und Diego Flórez (Uberto): Quali accenti/qual tormenti – Welche Betonung/welche Qual, das beide mit unnachahmlicher Inbrunst herausbringen, entlädt sich der Applaus explosiv, doch das darauf folgenden Cielo! In qual’estasi – Himmel, welche Wonne wird mit einem Beifall von fast zwei Minuten überboten, das war umso erstaunlicher, als der Beifall gegen die leere Bühne brandet, da beide Sänger die Bühne verlassen hatten. Genauso frenetisch klatscht das Publikum nach dem traumhaft gebotenen O fiamme soave – o süße Flamme von Flórez. Das mit Recht berühmte Schluß-Rondo wird „DiDonatos Rondo“!  Schon Tanti affetti – so viele Gefühle über den wogenden 32tel Noten spickt die Amerikanerin mit Trillern, die auch wirklich welche waren! Aber dann kam der Schluß: Fra il padre, e fra l’amante – zwischen dem Vater und dem Geliebten mit den witzigen Pausen und den überlangen chromatischen Läufen. Wir hielten alle den Atem an, es lief einem prickelnd den Rücken hinab bei so einer Tonschönheit und Akzentgenauigkeit, so einem makelloses An- und Abschwellen der Tonlinie. Ein Wunder!

Fazit

Balzac hat Recht, als er in seiner Novelle Massimilla Doni schrieb: Die Koloratur ist die höchste Ausdrucksform der Kunst: ein wenig darunter, und wir haben nichts, ein wenig mehr, und alles ist verwirrt. Wir hatten mehr und sind betäubt! Der Applaus wollte nicht enden. Eine Sternstunde des Gesangs!

Dr. Olaf  Zenner

Bild: Agathe Poupeney

Das Bild zeigt: Juan Diego Florez (Giacomo V, Uberto di Snowdon), Joyce DiDonato (Elena)

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