POLLICINO (DÄUMLING) – Weimar, Deutsches Nationaltheater

von Hans Werner Henze (*1926), Märchen für Musik nach Collodi, Grimm und Perrault, Deutsche Fassung von Hans Werner Henze, UA: 1980, Montepulciano (im Rahmen des 5. Cantiere Internazionale d’Arte)
Regie: Dorotty Szalma, Bühne/Kostüme: Beate Voigt, Choreographie: Amira Shemeis, Cordula Fischer (Kinderchoreinstudierung)
Dirigent: Joan Pagès Valls, Orchester der Musikschule Ottmar Gerster & Mitglieder der Staatskapelle Weimar, Schola Cantorum Weimar
Solisten: Söhne des Holzfällers: Sarah Davidovic (Pollicino), Deborah Kapsner, Svenja Herz, Madleen Singer, Wiebke Steinhöfel, Teresa Lippold, Franziska Mechow (Brüder), Töchter des Menschenfressers: Sara Gouzy (Clotilde), Olga Hohmann, Vivienne Müller, Johanna Lützelberger, Kathleen Kresse, Emily Irsen, Tina Bähringer (Töchter), Anna Buschbeck (Pollicinos Mutter, Uhu, Frau des Menschenfressers), Alexander Günther (Pollicinos Vater, Wolf, Menschenfresser), u.a.
Besuchte Aufführung: 10. April 2010 (Premiere)

Kurzinhalt
Die Handlung lehnt sich an verschiedene Märchen wie Hänsel und Gretel, Däumling oder Sieben Bräute für Sieben Brüder an: Pollicinos Familie lebt in bitterer Armut. Von den Eltern im Wald ausgesetzt, gelingt ihnen beim ersten Mal noch die Rückkehr mit Hilfe von Brotkrumen, beim zweiten Mal gelangen er und seine sechs Brüder mit Hilfe der Waldtiere zum Haus des Menschenfressers, dessen Frau ihnen Obdach gewährt. Als ihr Mann nach Hause kommt, versteckt sie die sieben Brüder in der Kammer ihrer sieben Töchter. Die Kinder fliehen gemeinsam und gründen eine Kommune, wo sie fortan ohne ihre Eltern glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben.
Vorbemerkung
Unter Nutzung aller technischen und künstlerischen Möglichkeiten des professionellen Theaterbetriebs ist die Produktion auf der Bühne des ehemaligen E-Werkes keinesfalls ein Experimentiertheater sondern hat als vollwertige Produktion zu gelten – es geht auch ohne Bühnenmaschinerie.
Hans Werner Henze schrieb seine poetische Oper Pollicino – Däumling im Jahr 1980 für die Kinder von Montepulciano, wo der Komponist ein Festival für moderne Musik gegründet hatte. In der verführerisch eingängigen und humorvollen Partitur finden sich Anklänge von Carl Orff, Renaissance-Musik, Belcanto-Oper und italienische Volksweisen – bis hin zum Rigoletto-Seufzer. Jedoch ist die Oper so einfach gestrickt, daß Laienorchester, Kinder und Nachwuchssänger das Stück spielen können.
Unter der Leitung von Joan Pagès Valls und haben die Jungen Musiker und Sänger seit September 2009 das Werk einstudiert- unterstützt von den Profis des Nationaltheaters Weimar. Eine profunde Mischung wie der Abend bewies.
Aufführung
Die Verwandlung geschieht durch einfache Schiebekulissen, die zumeist von den Darstellern selbst bewegt werden. Z.B. läßt sich der Tisch, an dem die Kinder des Holzfällers Platz nehmen und der sein karges Mahl wie ein Tischlein Deck dich preis gibt, in zwei Teile teilen und in die Ecke schieben. Der dunkle Wald ist eine Sammlung Art-deco-Tannenbäume, die man ständig neu zusammenschieben kann. Das Haus des Menschenfressers ist ein Gewächshaus, in dem er seine Töchter als Pflänzchen im Topf aufzieht. Auch sind die sehr aufwendigen bunten Kostüme aufsehenerregend. So bekam der Menschenfresser – mit großem zähnestarrenden Mund wenig angsterregend – und die große Eule heftigen Szenenapplaus. Die Auftritte der Kinder, z.B. der Gruppe der Brüder und Schwestern sowie der Wildtiere, wurden wie ein Kinderballett choreographiert.
Sänger und Orchester
Das Orchester benötigte nur in drei Positionen die Hilfe der Staatskapelle und muß für das harmonische und exakte Zusammenspiel gelobt werden. Die Brüder und Schwestern waren als Chor genauestens aufeinander eingestellt. Sara Gouzy als Clotilde war der einzige solistische Laie und kann als glockenreiner jugendlicher Sopran sicherlich bald eine Gesangs-Karriere beginnen. Alexander Günther bringt als durchschlagsstarker und erzählfreudiger Bariton die beiden schäbigen Charaktere Holzfäller und Menschenfresser ausdrucksstark auf die Bühne. Sarah Davidovic gewinnt als armer Pollicino die Herzen der Zuhörer mit einem leisen, aber ausrucksstarken Sopran, der sehr beweglich und nach allen Richtungen ausbaubar ist. Anna Buschbeck sprang kurzfristig für Silona Michel ein und konnte die Rolle vom Pult aus gut gestalten.
Fazit
Am Ende weiß man nicht, was bemerkenswerter ist: Hans Werner Henze, dem es gelungen ist ein einfaches Stück trotzdem sehr effektvoll zu gestalten, die gelungene Mischung aus Profis des Nationaltheaters und Kindern (Laien), die sehr motiviert zu Werke gingen oder die jugendlichen Zuschauer, die hörbar begeistert an die Oper und die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts herangeführt wurden. Letzteren hat es offensichtlich gefallen: Sie feierten einen kindgerechten Opernabend für alle zwischen 6 und 99.

Oliver Hohlbach

Bild: Anke Neugebauer
Das Bild zeigt: Die sieben Brüder verlaufen sich im Wald

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