Madame Favart – Paris, Opéra-Comique

von Jacques Offenbach (1819-1880), Opéra-comique in drei Akten, Libretto von Alfred Duru und Hanri Chivot, UA: 28. Dezember 1878 Paris, Théâtre des Folies-Dramatiques

Dirigent: Laurent Campellone, Orchestre de Chambre de Paris, Maîtrise Populaire der Opéra Comique, Chor der Opéra von  Limoges, Choreinstudierung: Marine Thoreau La Salle

Regie: Anne Kessler, Mitglied der Comédie Française, Bühne: Andrew D. Edwards, Kostüme: Bernadette Villard, Licht: Arnaud Jung Choreographie: Glyslein Lefever

Solisten: Marion Lebègue (Madame Favart), Christian Helmer (Charles-Simon Favart), Anne-Catherine Gillet (Suzanne), François Rougier (Hector de Boispréau), Franck Leguérinel, (Major Cotignac), Éric Huchet (Marquis de Pontsablé), Lionel Peintre (Biscotin), Raphaël Brémard (Sergent Larose)

Koproduktion Bru Zane (Venedig), Opéra de Limoges, Théâtre de Caen

Besuchte Aufführung: 20. Juni 2019 (Premiere)

Vorbemerkung

Die Handlung, die in Frankreich um die Mitte des 18. Jahrhunderts spielt, beruht im Kern auf einer wahren Begebenheit. Die Titelfigur, Marie-Justine Favart, war zu ihrer Zeit eine der bekanntesten Bühnendarstellerinnen in Paris. Als Schauspielerin, Schriftstellerin, Komponistin und Tänzerin arbeitete sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Charles-Simon Favart zusammen, der ein erfolgreicher Opern- und Komödiendichter war. Mit Maréchal de Saxe ist Hermann Moritz von Sachsen gemeint. Er war ein illegitimer Sohn von August dem Starken und Maria Aurora von Königsmarck.

Das Stück basiert auf Verkleidung, Theater und Rollentausch. Offenbach hat mit diesem sehr selten aufgeführten Stück etwas in die Welt gesetzt, das für ihn unverkennbar ist. Es beinhaltet schwungvolle Musik, die einen Text einkleidet, der ziemlich alles auf den Kopf stellt. Inversion ist ihm Prinzip. Was in staatlich geregeltem Alltag fest und sicher hochgehalten wird, rutscht hier in sich zusammen und was im Alltag kurz und klein gehalten wird, macht sich hier stark. Seine Musik gerät unter dem Ansturm wüster Cancans, Mazurken, Polkas und Tyroliennes öfters aus dem Takt. Rausch herrscht und Verbrüderung, ungebremste Liebes-, Trunk, Tanz und Augenlust (z.T. nach Volker Klotz).

Kurzinhalt

Der berühmte Marschall von Sachsen stellt der Sängerin Justine Favart nach und steckt sie in ein Kloster, während ihr Mann in einem Gasthof Unterschlupf findet. Sie kann aus dem Kloster fliehen und findet ihren Mann in einem Gasthaus beim Gastwirt Biscotin. Dort lernt sie eine junge Frau mit Namen Susanne kennen, die ihr Vater, Major Cotignac, verheiraten will. Gleichzeitig will Major Cotignac beim Gouverneur Marquis de Pontsablé erreichen, daß dieser dem erwählten Schwiegersohn die Stelle eines Polizeileutnants verschafft. Doch um diesen Posten bewirbt sich auch Hector de Boispréau, für den Suzannes Herz entbrannt ist.

Um Suzanne zu helfen, tauscht Justine mit ihr ihre Kleider. Als gewandte Schauspielerin ist es ihr ein leichtes, dem Gouverneur, ein Schürzenjäger, den Kopf zu verdrehen, indem sie sich ihm als Frau Boispréau vorstellt. So erreicht sie, daß der Marquis ihrem „Mann“ die Stelle eines Polizeileutnants gibt. Nun kann Hector de Boispréau Suzanne heiraten.

In ihrer neuen Wohnung in Douai findet auch das Ehepaar Favart Unterschlupf. Aber plötzlich erscheint auf der Suche nach den Favarts bei den Boispréau Marquis de Pontsablé. Jetzt bleibt Justine nichts anderes üblich, als weiter die verheiratete Suzanne zu spielen. Hinzu kommt noch, daß eine Comtesse de Montgriffon erwartet wird, der die gesuchte Mme Favart entlarven kann. Daß Mme Favart nun maskiert als eben diese Comtesse erscheint und ihn täuschen kann, hilft nicht weiter, denn auch die echte erscheint und verrät, die Gesuchte verberge sich in der Rolle einer Dienerin.

Marquis de Pontsablé hat danach nichts Eiligeres zu tun als die Favarts ins Feldlager des Marschalls von Sachsen bringen lassen. Aber er unterschätzt die Pfiffigkeit Justines. Diese weiß sich bei dem auf Besuch weilenden König, der sich auch ihre Vorstellung ansieht, eine Audienz zu verschaffen. Dabei erreicht sie, daß der König ihr neben Geschenke für ihre Bühnendarstellung die Freilassung zusammen mit ihrem Manne gewährt.

Aufführung

Die ganze Bühne wird eingenommen von einem Modeatelier. An der Bühnenhinterwand finden sich fünf übereinander angeordnete Regale mit unbekleideten Modepuppen von halber Körpergröße, an den Seiten sind ebener Erde und auf zwei Etagen Nähstuben eingerichtet. Die Mitte nimmt ein großer Zuschneidetisch ein. Viele Beschäftigte sieht man bei ihrer Arbeit. Der Patron Biscotin wieselt durch das Heer der Arbeitenden und ordnet hier an, dort stellt er jemand zur Rede. Er ist in einem braunen eleganten Anzug gekleidet. Die Angestellten tragen weiße Arbeitskittel. Mme Favart hat zu Beginn ein dunkles Kleid mit heller blauer Schürz an. Je nach ihrem Arbeitseinsatz wechseln die Schürzen. Später kommt sie in verschiedenen Kleidungen auf die Szene. Am aufwendigsten ist ihr Kostüm als Mme Montgriffon. Suzanne erscheint meist in einem roten Kleid. Ihr Vater ist in eine blaue Soldatenuniform vom Anfang des 20. Jahrhunderts gekleidet. Monsieur Favart trägt meist ein weißes Hemd, Hängejacke, graue Hose, die in hohen Schaftstiefeln steckt. Auf dem Kopf findet sich eine Schlägermütze. Hector de Boispréau kommt in grauem Anzug daher. Schließlich stellt sich Marquis de Pontsablé als ein vornehm gekleideter Mann mit neuester, vornehmer Mode von der Wende zum 20. Jahrhunderts vor. Seine hünenhafte Gestalt macht Wirkung.

Sänger und Orchester

Spritzig beginnt die Ouvertüre, an manchen Stellen taucht Cancan, dann taucht ein lyrischer Walzer usw. auf. Laurent Campellone hat alles in festem Griff, nichts läßt er unbeachtet. Marion Lebègue (Madame Favart) trägt mit blühendem Sopran und Verve das bekannte Couplet Ma mère aux vignes aux vignes m’envoyez – meine Mutter schickt mich in die Weinberge, wobei sie die Spitzentöne aufleuchten läßt. Damit gewann sie sofort die Herzen der Zuschauer, denn in ihrer schauspielerischen Darstellung ist sie elegant und überzeugend, besonders in den verschiedenen Verkleidungsszenen als Frau de Boispréau wie auch als Comtesse de Montgriffon.

Anne-Catherine Gillet (Suzanne) ist allerdings vom stimmliche betrachtet ein wenig mitreißender, vor allem in der Prononciation (Wortverständlichkeit). Mit großer Herzlichkeit gestaltet sie o mon papa, je t’en supplie à deux genoux. Il faut que vite on nous marie – mein Vater, ich flehe dich auf beiden Knien an. Man muß uns schnell verheiraten.

Doch keineswegs sind die Männer in Gesang und Aktionen den Frauen nachstehend. Insgesamt bot man eine gute Ensembleleistung. Hervorzuheben ist dabei und was regelrecht ins Auge fällt ist die perfekte schauspielerische Darstellung. Sie resultiert aus der hervorragenden Personenführung der Regisseurin Anne Kessler, einem Mitglied der Comédie Française. Es geht ja in einer Operette viele mehr nach der Darstellung als nach dem Singen, obwohl das natürlich nicht das Niveau unterschreiten darf. Aber die Leichtigkeit, die Eleganz und Flexibilität der Bühnenhandlung ist stets ausschlaggebend. So wurde diese Offenbachkomödie wenig hier nachgespielt.

Fazit

Es war ein mit leichter Hand servierter Offenbach, den – wenn er länger aufgeführt würde – einen Besuch lohnen würde. Etwas schade, daß alles vor einem Einheitsbühnenbild sich abspielt. Da helfen auch die bunten Kostüme wenig zu Abwechslung. Das Modeatelier soll wohl den Kleidertausch unterstreichen.

Das Publikum jedenfalls war begeistert und der Unterzeichner auch.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Stefan Brion – Opéra Comique

Das Bild zeigt: Marion Lebègue (Mme Favart, verkleidet als Comtesse de Montgriffon), Christian Helmer (Charles-Simon Favart), re. mit Éric Huchet (Marquis de Pontsablé hält einen Gehstock mit Knauf), Chor

Veröffentlicht unter Aktuelles, Featured