Pollicino – Köln

von Hans Werner Henze (1926-2012), Märchen für Musik, Libretto: Giuseppe Do Leva nach Carlo Collodi, den Brüdern Grimm und Charles Perrault, deutsche Fassung von Hans Werner Henze, UA: 2. August 1980, Montepulciano (im Rahmen des 5 Cantiere Internazionale d’Arte)

Regie: Saskia Kuhlmann, Bühne: Tobias Flemming, Kostüme: Hedda Ladwig, Licht: Philipp Wiechert, Dramaturgie: Tanja Fasching

Dirigent: Rainer Mühlbach, Orchester der Rheinischen Musikschule Köln, Schüler des Humboldt-Gymnasiums

Solisten: Eva Budde (Mutter/Frau des Menschenfressers), Frederik Tucker (Vater/Menschenfresser), David Goldort (Pollicino), Daria Sophie Wergiles, Sascha Repp, Luk Frieder Rescheleit, Vivienne Kulik, Elias Larrain Lagos, Sita Catharina Grabbe (Pollicinos Brüder), Amy Elizabeth Buttschardt (Uhu), Yunus Schahinger (Wolf), Alida Erwin (Waldkauz), Marlene Wolf (Füchslein), Ella Sagorski (Hase), Mara Lüke (Igel), Hafia Erlen (Wildsau), Ella Olivia Bender (Clotilde), Toska Mussawisade, Genesis Corallo Suarez, Maria Porcheddu, Alexandra Knauer, Marie Wente, Lea Marie Weikenmeier (Clotildes Schwestern)

Besuchte Aufführung: 23. Juni 2018 (Premiere)

Kurzinhalt

Pollicino hat arme Eltern, die ihn und seine sechs Brüder aussetzen wollen. Auf dem Weg in den Wald hat er Steinchen gestreut, mit deren Hilfe er seine Brüder wieder nach Hause führt. Die Eltern freuen sich zunächst über die Rückkehr der Kinder, versuchen jedoch kurze Zeit danach erneut, die Kinder auszusetzen. Dieses Mal gibt es keine Rückkehrmöglichkeit und die Kinder fürchten sich im Wald. Die Kinder treffen die Tiere des Waldes und es wird vereinbart, daß Herr Wolf die Kinder zu einem nahegelegenen Haus führt. In dem Haus wohnt ein Menschenfresser mit seiner Familie. Seine Frau versteckt die Kinder vor ihrem Mann, jedoch findet der Menschenfresser die Kinder und will sie am nächsten Morgen fressen. Hernach beklagt er sein Schicksal als Menschenfresser.

Die sieben Brüder schlafen bei den sieben Töchtern des Menschenfressers. Eine der Töchter heißt Clothilde, und sie vereinbart mit Pollicino die Flucht der Kinder. Als der Menschenfresser die Flucht bemerkt ist er außer sich vor Wut und will die Kinder mit seinen Siebenmeilenstiefeln fangen. Seine Frau weist ihn darauf hin, daß die Stiefel gerade repariert werden.

Die Kinder bewältigen die Gefahren der Flucht und erfreuen sich schließlich am Frühling.

Aufführung

Das Bühnenbild besteht aus einem gemalten Gebirge, welches sich öffnen und schließen kann. Aus der Mitte kommt das Haus von Pollicinos Eltern sowie das Haus des Menschenfressers gefahren. Die Kostüme sind traditionell gehalten und wenig fantasiereich Die Partien von Pollicinos Eltern und des Menschenfresserehepaares werden von den gleichen Personen gesungen. Die Rolle des Wolfs spielt ein professioneller Sänger. Die übrigen Partien werden von Kindern gesungen, also so, wie es auch von Hans Werner Henze vorgesehen war.

Sänger und Orchester

Die Aufführung lebt vor allem von der Tatsache, daß es Kinder sind, die für Kinder musizieren. Kinder, die unvoreingenommen an die Musik und an die Proben herangegangen sind und vieles neu lernen mußten. Das Ergebnis ist beeindruckend: sowohl die singenden, als auch die musizierenden Kinder geben eine beachtliche Leistung ab. Die Rollendopplung weist wahrscheinlich auf tiefenpsychologische Überlegungen hin, vermutlich sollen die „gute“ und die „böse“ Mutter sowie der „gute“ und der „böse“ Vater auf diese Weise dargestellt werden. Es herrscht eine aufgeregte und konzentrierte Atmosphäre und die Kinder geben sich fast

professionell bei ihren Auftritten.

Nur an wenigen Stellen zeigt sich, daß es sich bei der Oper um Neue Musik handelt und die Partien teilweise nicht ganz leicht zu bewältigen sind. Hervorzuheben ist David Goldort, der als Pollicino am häufigsten auf der Bühne ist und seine Partie in beachtlicher Weise meistert. Ella Olivia Bender gibt mit vielversprechender Stimme und intonationssicherem Gesang ihre Clotilde. Eva Budde in der Doppelrolle als Mutter und Frau des Menschenfressers zeigt sich mit einem dramatischen und wohlklingenden Sopran, erweist sich aber als schauspielerisch wenig überzeugend. Frederik Tucker beginnt klangschön und glaubhaft in der Darstellung der Partie des Vaters und der des Menschenfressers. Insbesondere die Suche nach den versteckten Kindern gelingt ihm in furchteinflößender Weise. Wohlklingend tritt auch Yunus Schahinger (Wolf) in der kurzen Tierszene in Erscheinung. Pollicinos Brüder Daria Sophie Wergiles, Sascha Repp, Luk Frieder Rescheleit, Vivienne Kulik, Elias Larrain Lagos, Sita Catharina Grabbe und die Töchter des Menschenfressers Toska Mussawisade, Genesis Corallo Suarez, Maria Porcheddu, Alexandra Knauer, Marie Wente, Lea Marie Weikenmeier singen meist im Ensemble; fast immer gelingt es ihnen, gemeinsam einzusetzen und einen gemeinsamen Wohlklang zu entfalten.

Die akustische Herausforderung des Staatenhauses ist durch eine Verstärkung der Singenden mit Mikrophonen gelöst worden. Auf diese Weise klingen die Sängerinnen und Sänger alle ähnlich laut. Aufgrund der Tatsache, daß professionelle Sängerinnen und Sänger neben Kindern auftreten wird durch die Verstärkung eine unnatürliche Wirkung erzielt.

Das Orchester unter der Leitung von Rainer Mühlbach überzeugt vom ersten Ton an: die Kinder spielen intonationssicher und sind mit Begeisterung bei der Sache. Besonders das Schlagwerk sticht mit präzisen und nachdrücklichen Phrasen hervor. Rainer Mühlbach motiviert die Spielenden mit eindeutiger Schlagtechnik.

Fazit

Insgesamt ist die Inszenierung wenig einfallsreich und fast etwas bieder; es ist das auf der Bühne zu sehen, was aufgrund der Partitur zu erwarten ist. Die Brüche innerhalb der Kinderoper, etwa die sich wandelnde Haltung der Eltern gegenüber den Kindern oder die plötzliche Sentimentalität des Menschenfressers wirken abrupt und werden nicht schlüssig erklärt.

Trotz der etwas einfallslosen Inszenierung überträgt sich die Stimmung der Kinder: es ist deutlich zu spüren, um was für ein herausragendes Ereignis es sich bei der Opernaufführung für die Kinder handelt. Besonders beeindruckend ist auch die kulturübergreifende Ausrichtung; Kinder mit verschiedener kultureller Herkunft spielen und singen mit gleicher Begeisterung und mit gleichem Ernst nebeneinander. Die Kinder werden für ihre Leistungen mit reichem Applaus belohnt. Es ist zu hoffen, dass das Projekt zur Nachahmung einlädt und noch mehr Kinder ähnliche Erfahrungen auf und vor der Bühne haben können.

Raika Simone Maier

Bild: © Matthias Jung

Das Bild zeigt: Frederik Tucker (Vater/Menschenfresser), Schülerinnen und Schüler des Humboldgymnasiums

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