NORMA – Coburg, Landestheater

von Vincenzo Bellini (1801-1835), Tragedia lirica in 2 Akten, Libretto: Felice Romani. UA: 26. Dezember 1831 Mailand, Teatro alla Scala

Regie/Kosüme: Konstanze Lauterbach, Bühne: Karen Simon

Dirigent: Roland Kluttig, Philharmonisches Orchester, Chor und Extrachor des Landestheater Coburg, Choreinstudierung: Lorenzo Da Rio

Solisten: Celeste Siciliano (Norma), Milen Bozhkov (Pollione), Ana Cvetkovic-Stojnic (Adalgisa), Michael Lion (Oroveso), Heidi Peters (Clotilde), David Zimmer (Flavio).

Besuchte Aufführung: 30. September 2015

Norma | Oper von Vincenzo Bellini | ML Roland Kluttig; I/K Konstanze Lauterbach; B Karen Simon | Premiere am 19. September 2015, Großes Haus/ Landestheater Coburg

Norma | Oper von Vincenzo Bellini | ML Roland Kluttig; I/K Konstanze Lauterbach; B Karen Simon | Premiere am 19. September 2015, Großes Haus/ Landestheater Coburg

Kurzinhalt

Die Handlung spielt etwa 50 v. Chr. im von Römern besetzten Gallien. Norma, Tochter von Oroveso und Hohepriesterin der Druiden, liebt heimlich den römischen Konsul Pollione, von dem sie zwei Kinder hat, weshalb sie sich weigert zum Aufstand gegen die Römer aufzurufen. Als sie erfährt, daß Pollione sie mit der Priesterin Adalgisa betrügt und diese statt ihrer nach Rom mitnehmen will, sinnt sie auf Rache, will sogar die Kinder töten und ruft zunächst zum Krieg gegen die Römer auf, klagt dann aber sich selbst an, ihre Religion verraten zu haben. Sie überantwortet Oroveso ihre Kinder. Sie wird zum Tode verurteilt. Pollione ist überwältigt von Normas Geradlinigkeit und Treue und folgt ihr auf den Scheiterhaufen.

Aufführung

Im ersten Akt sehen wir ein Feld voller Ölbohrtürme. Neben den Türmen liegen Fässer, in denen Alltagsgegenstände und Wasser aufbewahrt werden. Für „Normas Familiennest“ werden drei schmale Tafeln herabgelassen, die einen Blumenwald zeigen. Das zweite Bild zeigt eine weiße Wüstenlandschaft (Schnee? Sand?) mit viel Bruchholz. Am Schluß verschwinden Norma und Pollione hinter einem Berg schwarzer Müllsäcke. Anhand der Kostüme ist eine zeitliche Zuordnung derselben schwierig: Die Römer tragen grüne Uniforme ohne Abzeichen, die Gallier dagegen bunte Alltagskleidung, deren Gruppenabzeichen nicht identifizierbar sind (eine zweiköpfige Schlange oder Leuchter?).

Sänger und Orchester

Das Blech klingt sehr direkt aus dem Orchestergraben, d.h. Roland Kluttig gelingt es nicht, das Blech auszugleichen. Daher klingen die Zwischenmusiken eher wie Marschmusiken, filigrane Zwischentöne sind kaum hörbar. Auch bei der Untermalung der Solisten ist das Orchester streckenweise zu dominant, der schnelle Tempowechsel nimmt aber dem Chor Guerra, Guerra –Krieg, Krieg, eindrucksvoll dargeboten, die Wirkung. Und Celeste Siciliano hat Probleme die Arie Casta Divakeusche Göttin piano anzustimmen. Da sie aber ein dramatischer Sopran und eher im italienischen Verismo zu Hause ist, hat sie keine Probleme sich durchzusetzen: Ihre langen Legatopassagen in dieser Arie ist blendend vorgetragen. Milen Bozhkov als ihr Liebhaber Pollione hat am Haus als Puccini-Tenor Erfolge gefeiert. Mit seinem weichen italienischen Timbre, verbunden mit strahlender Höhe, großem Stimmvolumen und Durchschlagsfähigkeit, kann er von einem traumhaft leichten Piano zu einem durchaus kraftvollen Fortissimo anschwellen – so entstehen wahre Jubelarien. Ana Cvetkovic-Stojnic kann die Rolle der Adalgisa nicht wirklich im Stil des Belcantos gestalten. Sie hat zwar eine leuchtende und durchschlagsstarke Stimme, kann jedoch nicht hinsichtlich Strahlkraft mit Celeste Siciliano mithalten und geht auch bei manchen hohen Tönen fehl. Michael Lion ist der erfahrene Haus-Baßbariton, der den Oroveso kraftvoll und mit viel Durchschlagskraft singt. Damit rückt man diese Rolle aber in die Nähe der bekannten Wagner-Baßbaritone wie Wotan oder Marke, was sich auch daran zeigt, daß man den großen Auftritt Orovesos im zweiten Akt mit der Einlegearie Richard Wagners Norma il predisse – Norma, Vorherseherin  (WWV 52) aus (1839) aufwertet, was auch durch die Vortragsweise vom Michael Lion unterstrichen wird.

Fazit (zusammengefaßt für Coburg und Kassel)

Die Werke Bellinis wurden in der Vergangenheit eher selten aufgeführt, denn das Personal, das den Belcanto-Stil beherrscht, ist sehr dünn gesät. Kleinere Häuser können für die Hauptpartien kaum adäquate Gastsänger finden. Viele Rollen werden mit Ensemble-Mitgliedern besetzt, die wenig bis gar keine Kenntnisse mit Belcanto haben. Ein Scheitern ist so fast vorprogrammiert.

Im Falle von Coburg und Kassel geschah ein Scheitern auf hohem Niveau, das im Bemühen um eine adäquate musikalische Umsetzung gipfelt. Daß das Publikum dennoch etwas vom Belcanto-Singen versteht, beweis der schwache Szenenapplaus.

Inszenatorisch kommt der Verdacht auf, durch die absurdesten Regieeinfälle vom Musikalischen abzulenken.

Beispiel: das unverständliche Szenario in Coburg, das das Geschehen zwischen gewalttätigen, sektiererischen Umweltschützern und erdölförderndem Militär ansiedelt.

In Kassel versucht die französische Resistance an einem Sandstrand (mit Laufgräben und Treppen) den (faschistischen) italienischen Truppen Widerstand zu leisten – am Schluß erschießen die Römer die Gallier und Flavio den Pollione. Um die tiefsinnigen Dialoge zwischen Norma und Pollione zu „überbrücken“ dürfen die Faschisten französische Dominas befriedigen: Als running gag gibt es auch noch ein Vergewaltigungsopfer, das mehrfach über die Bühne wankt und dadurch Normas Selbstanklage stört.

Das Publikum sieht das wohl ähnlich: Zweimal freundlich mäßiger und sehr kurzer Pflichtapplaus: Buh-Rufer und Belcanto-Fans gehen wohl schon nach dem ersten Akt.

Oliver Hohlbach

Bild: Andre Kremper

Das Bild zeigt: Selbstmord im Müllberg von Norma (Celeste Siciliano), Pollione (Milen Bozhkov)

Veröffentlicht unter Opern