Bregenzer Festspiele 2015

Turandot

von Giacomo Puccini (1858-1924), Dramma lirico in drei Akten, dritter Akt vervollständigt von Franco Alfano, , Libretto: Giuseppe Adami und Renato Simoni nach Carlo Gozzi; UA: 25. April 1926 Mailand, Teatro alla Scala

Regie: Marco Arturo Marelli, Kostüme: Constance Hoffmann, Licht: Davy Cunningham, Video: Aron Kitzig, Choreographie: Ran Arthur Braun

Dirigent: Paolo Carignani, Wiener Symphoniker, Prager Philharmonischer Chor, Bregenzer Festspielchor, Kinderchor der Musikmittelschule Bregenz-Stadt, Choreinstudierung: Benjamin Lack und Wolfgang Schwendinger

Solisten: Katrin Kapplusch (Turandot), Manuel von Senden (Altoum), Dimitry Ivashchenko (Timur), Arold Rawls (Calaf), Yitian Luan (Liù), Thomas Oliemans (Ping), Peter Marsh (Pang), Kyungho Kim (Pong), Grigory Shkarupa (Mandarin), u.a.

Besuchte Aufführung: 2. August 2015 auf der Seebühne

Vorbemerkung

Bregenz liegt an der Nahtstelle zwischen Deutschland und der Schweiz, zwischen Bodensee und den Alpen. Jahr für Jahr leidet die Region Bregenzer Wald unter dem Fernverkehr, der sich durch den Pfändertunnel oder – viel schlimmer – durch Bregenz direkt quält. Nichtsdestotrotz ist diese Ferienregion wegen seiner kulinarischen Angebote, Wanderausflügen (z.B. auf der Käsestrasse), den Bade- und Schiffsmöglichkeiten, der herrlichen Natur (Mainau, Reichenau) sehr begehrt. Da sind die Bregenzer Seefestspiele das Tüpfelchen auf dem I. Am bekanntesten ist die Seebühne für 7000 Personen, über die schon James Bond Toscas Auge jagte. Darüber hinaus gibt es kleinere Schauplätze wie das Festspielhaus (1650 Plätze) und das Theater am Kornmarkt (550 Plätze). Unter der neuen Intendantin Elisabeth Sobotka etabliert sich neben der Mainstream Produktion auf der Seebühne eine neue Produktpalette: Neben einer zweiten Opernproduktion im Festspielhaus, das sonst nur als Ausweichspielstädte für die Seebühne diente, werden noch Liederabende oder Meisterklassen-Konzerte angeboten.

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Aufführung

Beim Betreten der Seebühne ist im ersten Augenschein das beherrschende Element des riesigen Turandot-Bühnenbildes von Marco Arturo Marelli: eine kolossale Chinesische Mauer, die bis zu 27 Meter über den Wasserspiegel schlangengleich sich auf und ab windet. Zwei Türme bilden rechts und links den Abschluß der Bühnenplattform, die somit von Booten auf dem See umfahren werden kann. Der höchste Punkt wird im rechten Turm noch von einem roten Pavillon gekrönt, vom linken Turm wird der geköpfte Prinz von Persien unbekümmert ins Wasser geworfen. Flankiert wird die Mauer von 205 Terrakotta-Kriegern, die der berühmten Grabbeigabe des ersten chinesischen Kaisers in Xi’an nachempfunden sind. Eine Gruppe steht oberhalb der Mauer, die erst richtig sichtbar wird, wenn das mittlere Mauersegment nach den ersten Takten der Musik bühnenwirksam einstürzt, die zweite Gruppe steht ins Wasser absteigend vor der Mauer, rund um eine Bühnenplattform. Diese enthält einen fahrbaren Zylinder, der ein zentrales Element des Bühnenbildes wird und wichtige Funktionen der Inszenierung übernimmt. Wird der Deckel des Zylinders geöffnet, sieht man eine riesige zehn Meter große Projektionsfläche, auf der der Auftritt Turandots und ihre Rätselfragen als Video begleitet wird: Anhand einer steinernen Maske der Turandot werden künstlerisch hochstehende Assoziationen zu den Fragen projiziert, die aber genauso rätselhaft sind wie die Fragen selbst. Dreht sich der Zylinder, sieht man aufgrund des Neigungswinkels der Bühne einen zusätzlichen Raum, in dem im ersten Akt die Schwerter für die Opfer Turandots geschmiedet werden, im zweiten Akt ist eine Bibliothek für die drei Minister Ping, Pang und Pong zu sehen – in der allerdings auch die Köpfe der gescheiterten Bewerber in Konservengläsern eingelagert werden. Auf der Fläche vor dem Zylinder ist der Auftrittsraum für das graue Volk (vergleichbar mit Maos Menschen), Solisten und Chor, die in teils farbenfrohen Auftritten und prächtigen Choreographien dem chinesischen Staatszirkus Konkurrenz machen könnten. Halblinks befindet sich noch in einer Art Anhängsel an die Bühne ein blauer Salon, in dem Puccini (dargestellt von Calaf) unverständlich die Handlung kommentiert, bevor er kurz vor dem Schlußduett auf dem Krankenbett stirbt.

Sänger und Orchester

Musikalisch ist ein Urteil schwierig, da man eigentlich Sänger und Musiker nicht direkt hört, sondern immer eine Übertragung aus vielen Lautsprechern. Insgesamt aber stand der Abend in Sachen Aufführungsqualität einer Repertoire-Vorstellung einer Staatsoper in nichts nach. Zu einer Sternstunde kam es jedoch nicht, dazu hätte Paolo Carignani etwas mehr Feuer bei den Wiener Symphonikern entfachen müssen, die etwas zu behäbig das Liebesdrama nachzeichnen. Dafür gelingt es ihm, die dramatischen Momente mit den typischen italienischen Klangbildern Puccini zu zelebrieren. Die Spannung bei den Rätselfragen Turandots – eiskalt und mit viel Härte im stählernen Sopran vorgetragen von Katrin Kapplusch – erreicht ungeahnte Höhen. Eine Jubelarie hingegen wird das Nessun dorma – Niemand schlafe von Arnold Rawls als Calaf. Mit viel tenoralen Strahlglanz in der Höhe gelingt ihm die vom Publikum gefeierte bekannteste Arie der Oper. Die perfekt aufeinander eingestimmten Stimmen von Thomas Oliemans (Ping), Peter Marsh (Pang) und Kyungho Kim (Pong) ergeben ein sehr stimmiges Trio der drei Staatsdiener, die über das Leben nachsinnen. Yitian Luan überzeugt mit jugendlich hell strahlender Stimme als „Puccinis und Timurs Krankenschwester“ Liù, während Manuel von Senden als Altoum und Dimitry Ivashchenko als Timur wirklich nur alte Männer sind. Insgesamt eine allgemein verständliche Produktion, farbenfroh in Szene gesetzt.

 

Hoffmanns Erzählungen

von Jacques Offenbach (1819-1880), Phantastische Oper in fünf Akten, Libretto von Jules Barbier, Spielfassung für diese Inszenierung eingerichtet von Stefan Herheim, Johannes Debus und Olaf A. Schmitt, UA: 10. Februar 1881 Paris, Opéra-Comique, Salle Favart

Regie: Stefan Herheim, Kostüme: Esther Bialas, Bühne: Christof Hetzer, Video fettFilm

Dirigent: Johannes Debus, Wiener Symphoniker, Prager Philharmonischer Chor, Choreinstudierung: Lukas Vasilek

Solisten: Daniel Johansson (Hoffmann), Rachel Frenkel (La Muse, Nicklausse, La Voix de la tombe), Kerstin Avemo (Olympia, Giulietta), Mandy Fredrich (Antonia, Giulietta), Michael Volle (Lindorf, Maitre Luther, Coppélius, Dr. Miracle, Dapertutto), Christophe Mortagne (Andres, Cochenille, Frantz), Ketil Hugaas (Crespel), Bengt-Ola Morgny (Spalanzani), Pär Karlsson (Stella, stumme Rolle), u.a.

Besuchte Aufführung: 3. August 2015 Oper im Festspielhaus

Bregenz2015 HoffmannAufführung

Sehr viel schwieriger zu analysieren ist hingegen die Produktion von Hoffmanns Erzählungen im Festspielhaus. Das Produktionsteam hat eine eigene Spielfassung erarbeitet, die manchen Opernbesucher an den Rand der Verständnislosigkeit bringt. Man muß diese Oper und seine Fassungen gut kennen, um diese Spielfassung nachvollziehen zu können. Nicht immer logisch ist der Handlungsverlauf, aber mit Hilfe der Inhaltsangabe im Programmheft kann man es doch recht gut nachvollziehen – vor allem im Venedig-Akt. Hier entschloß man sich, das 1904 in Monte-Carlo eingefügte Septett mit Chor und auch die 1905 in Berlin hereingenommene Spiegel-Arie (beide sind nicht von Offenbach!) beizubehalten. Diese Arie ist problematisch, weil der vorgesehene Bariton oder Baß-Bariton meist Schwierigkeiten hat.

Im Vorspiel fällt Stella die große Show-Treppe hinunter, um den Geistern des Alkohols zu verfallen. Später teilt sich diese Show-Treppe, um in ihren Arkaden Luthers Weinkeller, ein physikalisches Kabinett und eine Musikalienhandlung (in den Arkaden stehen technische Geräte bzw. hängen Geigen) zu bilden. Man kann die Treppe auch ganz aufklappen, dann sieht man schwarze Gondeln, die durch Kanäle fahren. Man fühlt sich an „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ oder „Den Tod in Venedig“ erinnert.

Sänger und Orchester

So auch Michael Volle, der die Höhen dieser Arie nur im Falsett trifft, aber Dank seinem kraftvollen Spielbariton allen Bösewichtern dieser Oper mehr als nur Leben einhaucht. Wenn ihm auch manchmal die Tiefe fehlt – er ist stets Mittelpunkt eines Ensembles mit wenig Licht und Schatten. Als weiterer Pluspunkt wäre nur noch Christoph Mortagne zu nennen, der die Dienerrollen auffallend servil gestaltet, die Arie des Frantz wird zum Höhepunkt. Er doubelt dabei Jacques Offenbach, der mit Violoncello, großen Gesten und großer Feder dirigiert. Dieses Amt hat eigentlich Johannes Debus inne. Er führt die Wiener Symphoniker recht wackelig und mit manchem ungenauen Zusammenspiel zwischen Orchester und Bühne durch den Abend. Auch das hohe Tempo, das er anschlägt war nicht immer hilfreich. Daniel Johansson in der Titelrolle zeigt eine starke stimmliche Präsenz, in der Höhe mit zurückgenommener Stimme sicher, ist aber mit der Gestaltung der Gesangslinie überfordert: So unsicher hat man das Lied von Klein-Zack selten gehört. Bei Rachel Frenkel ist die gekürzte Rolle der Muse bzw. Nicklausse sicher aufgehoben. Mandy Fredrich (Antonia) und Kerstin Avemo (Olympia) haben Schwierigkeiten mit der Sauberkeit in der Intonation, und manchmal wackelt die ganze Phrase. Die Rolle der Giulietta wird zwischen den beiden Damen geteilt. Stella wird als stumme Rolle von einem männlichen Stuntman (Pär Karlsson) gespielt. Hier wird deutlich, daß diese Damen-Rollen in dieser Produktion eigentlich Herren in Damenkleidung darstellen sollen, was sich auch in den teilweise grotesken Kostümen widerspiegelt, die zwischen Karneval und Tuntenball chargieren.

Fazit

Das erste Jahr von Elisabeth Sobotkas Intendanz hat zwei Produktionen gezeigt, die es verdient hätten weiterentwickelt zu werden. Nur Turandot wird diese Möglichkeit bekommen, Hoffmanns Erzählungen wird aber nicht in Köln zu sehen sein, ob sich Kopenhagen den Theaterskandal leisten will, wird sich noch zeigen. Ihre komplexe Fassung sowohl in Produktion als auch in der Regie ist sehr aufwendig, schafft aber leider weder in der Rezeptionsgeschichte noch auf der musikalischen Seite einen meßbaren Mehrwert.

Stellungnahme zur Regie Hoffmanns Erzählungen und Turandot

Stefan Herheim hat wieder mehrere Erzählebenen erschaffen, auf der eigentlichen Handlung aufbauend erzählt er in der zweiten Ebene von einem schwulen Liebesdrama, das für Hoffmann und die männliche Stella tödlich endet. „Groß ist man durch die Liebe, größer noch durch das Leid“, schreibt er im Programmheft.

Turandot bleibt technisch ein wenig unter der Möglichkeiten, die die bisherigen Produktionen auf der Seebühne zeigten. Doch diese Produktion ist für das Publikum von Bedeutung, weil der Unterhaltungswert höher ist. Marco Arturo Marelli war es jedoch wichtiger, das Stück mit szenischem Tiefgang zu zeigen. Auch wenn man sagen muß, daß es besser gewesen wäre, den Auftritt Puccinis (durch den Darsteller der Calaf) wegzulassen. Vor allem aus Verständnisgründen des Publikums. So hat das Publikum die Turandot relativ kurz und ein wenig müde gefeiert, während Stefan Herheim doch einige deutliche Buhrufe erfahren mußte. Vielleicht liegt das auch am ersten Auftritt von Michael Volle, der sich aus dem Publikum erhebt und deftig fluchend die Konzentration auf das Werk Offenbachs anmahnt, Publikumsbeschimpfung einmal anders.

Oliver Hohlbach

Bild (oben): Karl Forster

Das Bild zeigt: Die Schlußszene Turandot (Seebühne)

Bild (unten): Karl Forster

Das Bild zeigt: Mandy Fredrich (Antonia) zerlegt Hoffmanns Gliederpuppe.

Veröffentlicht unter Aktuelles