LA CALISTO – Paris, Théâtre des Champs-Élysées

von Francesco Cavalli (1602-1676), Dramma per musica in drei Akten, Libretto: Giovanni Faustini nach den Metamorphosen von Ovid, UA: 28. November 1651, Theater San Apollinare, Venedig.

Regie, Bühne/Kostüme: Macha Macheieff, Licht: Dominique Bruguière, Choreographie: Lionel Hoche

Dirigent: Christophe Rousset, Les Talens Lyriques

Solisten: Sophie Karthäuser (La Calisto), Lawrence Zazzo (Endymion), Giovanni Battista Parodi (Jupiter), Véronique Gens (Juno, Das Schicksal), Marie-Claude Chappuis (Diana, Die Ewigkeit) Milena Storti  (Linfea), Cyril Auvity (Pane, Die Natur),  Mario Cassi  (Mercurio), Sabina Puértolas (Satyr), Greame Broadbent (Silvano), Axel Anselmo (Amore).

Besuchte Aufführung:  5. Mai 2010  (Premiere)

Kurzinhalt

Die Nymphe Calisto, Dienerin der keuchen Göttin Diana, weist die Annäherungsversuche Jupiters zurück. Doch der Göttervater nimmt, dem Rate seines Begleiters Merkur folgend, selbst die Gestalt Dianas an, so daß ihm Calisto nun  freudig auf einen „Waldspaziergang“ folgt. Indessen, singt der Hirte Endymion seine hoffnungslose Liebe zur Diana. Calisto, beglückt aus dem Wald zurückgekehrt, kann die  Entrüstung ihrer Herrin nicht verstehen. Endymion ist über seinem Liebesgesang eingeschlafen. Diana bewundert seine Schönheit und küßt ihn. Sie gesteht ihm ihre Liebe, aber eingedenk ihres Keuschheitsgelöbnisses flieht sie. Juno wittert einen Seitensprung Jupiters, steigt zur Erde herab und findet ihre Befürchtungen bestätigt. Der immer noch verkleidete Jupiter verabredet sich erneut mit Calisto. Endymion macht der vermeintlichen Diana Vorwürfe. Der Göttervater kommt in Verlegenheit. Pan und die Satyr entführen den verbitterten Hirten.

Calisto wartet auf ihre „Diana“ an der Quelle, doch statt derer erscheint Juno und verwandelt die Nymphe in einen kleinen Bären. Diana befreit Endymion. Sie schwören einander ewige, doch keusche Liebe. Jupiter kehrt auf den Olymp zurück. Und Calisto wird als Ursa minor – kleine Bärin, in die Zahl der Sternbilder aufgenommen.

Aufführung

Es war nicht die erste Operninszenierung  der vielseitigen Regisseurin Macha  Machaieff, doch ihre erste im Théâtre des Champs-Élysées. Ein karges Bühnenbild, große silberne und goldene  Scheiben auf schwarzem Hintergrund. Davor stilisierte, oft wie von Kinderhand gemalte Kulissen. Dazu meist farbenprächtige Phantasiekostüme, unter denen die zebragestreifte Popstar-Glitzerjacke Jupiters besonders auffiel.

Orchester und Solisten.

Sophie Karthäuser  spielt und singt die naiv-idealistische Nymphe Calisto  glaubwürdig und mit Charme. Stimmlich bewegt sie gleich zu Beginn im Lamento (Klagelied) Piante ombrose – Schattenspendende Pflanze durch klares Legato und ein müheloses Durchlaufen der Melismen. Wirkt sie im hohen dramatischen Register anfänglich etwas herb, so entfaltet sich im Laufe des Abends auch ihr hohes reines Timbre. Vor allem aber strahlt ihre Stimme in den Liebesduetten (1. Akt 5. und 3. Akt, 4. und 8. Szene).

Lawrence Zazzo und Marie-Claude Chappuis erfreuen durch wundervollen Wechselgesang. Bei Lawrence Zazzo, der dem Publikum des Théâtre des Champs-Elysées als Star unzähliger Barock-Interpretationen wohl bekannt ist, erstaunt das wenig. Doch die nuancierte, klare Phrasierung und die stimmliche Sicherheit der jungen Schweizerin in dieser Barockrolle war eine freudige Überraschung und die Liebesszene auf dem Monte Liceo demnach entschieden einer der Höhepunkte des Abends.

Giovanni Battista Parodis warmer, voller Baß gab dem unverbesserlichen Schürzenjäger Jupiter Verführungskraft und seine Falsettstimme in den Verkleidungsszenen könnte manch einen Countertenor vor Neid erblassen lassen. Sein treuer Diener Mercurio begleitete ihn mit Rat, Tat und einem wohlklingenden Bariton. Véronique Gens starker, dramatischer Sopran brachte die Rachegefühle der verletzen Juno prachtvoll zum Ausdruck. Nicht zu vergessen die tragikomischen Szenen der peitschenschwingenden Linfea, die Milena Storti mit tiefer Altstimme und düsterer Leidenschaft verkörperte. Die „beleidigten“ Untergötter der Waldwelt, Pan, Silvano und Satyr, hatten als Terzett farbenfreudige Auftritte, wobei  das metallhelle Timbre Cyril Auvitys besonders auffiel.
Les Talens Lyriques bestanden zu diesem Anlaß aus Geigen, Blockflöten, Kornetts und einem vielfältigen basso continuo. Vom Cembalo hat Christophe Rousset  mit Präzision, Eleganz und hoher Musikalität die 14 Instrumentalisten und 10 Sänger zu einen erfreulichen Ganzen zusammengefügt.

Fazit

Francesco Cavalli, Schüler und Nachfolger Claudio Monteverdis als Kapellmeister von San Marco in Venedig, galt als der führende Meister der venezianischen Oper in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Christophe Roussets musikalische Leitung ließen diese dreieinhalb Jahrhunderte alte Opernkomödie auch heute noch zu einem musikalischen Vergnügen werden.  Und man erkennt das Wegweisende dieses Werks. Der oft über das arioso hinausgehende Sologesang deutet schon die großen da capo Arien der späten Barockopern an, und man fragt sich, ob der Venezianer Lorenzo da Ponte nicht auch mal in diese frivole Posse  hineingeschaut hatte, bevor er das Paar Don Giovanni-Leporello konzipierte und später die Verkleidungsszenen in Così fan tutte.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Alvaro Yanez

Das Bild zeigt von links nach rechts: zwei Furien, Sophie Karthäuser (Calisto) und Véronique Gens (Juno)

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